KI-Actionfiguren und das neue Ich: psychologische Einordnung eines viralen Trends
KI-Actionfiguren und das neue Ich: psychologische Einordnung eines viralen Trends
Zwischen Selfie, Spielzeug und Schutzpanzer
Veröffentlicht am:
16.04.2025


Zwischen Selfie, Spielzeug und Schutzpanzer – was KI-Actionfiguren über uns verraten – der neue Narzissmus im Blister
Einleitung: Was steckt hinter dem Trend?
Auf LinkedIn, Instagram und TikTok tauchen seit Wochen Bilder auf, die aussehen wie Spielzeugverpackungen aus den 90ern: Darin, ordentlich platziert und mit Accessoires versehen, nicht Superheld:innen, sondern ganz normale Menschen. Die eigene Person als Actionfigur, ausgestattet mit Laptop, Kaffeebecher oder Mikrofon – in einer Plastikbox, die mehr über unsere Gegenwart erzählt als viele Statusupdates. Der Auslöser: ein neues ChatGPT-Update, das per Texteingabe und Selfie ein Bild generiert. Der Vorgang ist simpel, das Ergebnis auffällig. Und genau deshalb ist der Trend so erfolgreich.
Was auf den ersten Blick wie ein viraler Gag wirkt, berührt psychologische Tiefenschichten. Die Actionfigur ist ein Hybrid aus Identitätsentwurf, sozialem Code und digitaler Coping-Strategie. Sie erlaubt uns, mit einem Minimum an Offenlegung ein Maximum an Präsenz zu erzeugen – und bietet zugleich ein ironisches Spielfeld zur Reflexion über das eigene Selbstbild.
In ihrer Ästhetik erinnert sie an Kindheit und Popkultur, in ihrer Funktion erfüllt sie jedoch tiefere Sehnsüchte: die nach Kontrolle über das eigene Bild, nach Sichtbarkeit ohne Verletzlichkeit, nach Zugehörigkeit in einer fragmentierten Öffentlichkeit. Gleichzeitig wirkt sie wie ein Abwehrmechanismus gegen die Komplexität der Gegenwart – ein kleiner symbolischer Raum, in dem das Ich vereinfacht, verpackt, bewahrt werden kann.
Sie sagt: "Ich gehöre dazu." Aber sie sagt es auf eine Weise, die Distanz ermöglicht. Sie ist Einladung und Abgrenzung zugleich. Genau darin liegt ihre Faszination.
Zwischen Sichtbarkeit und Schutzbedürfnis
In der digitalen Selbstinszenierung geht es längst nicht mehr nur um Authentizität, sondern um eine sensible Balance: sichtbar sein, ohne sich vollständig preiszugeben. Die KI-generierte Actionfigur trifft diesen Nerv auf den Punkt. Sie abstrahiert das Selbst, stilisiert es und rahmt es visuell ein. Sie stellt keine Wirklichkeit dar, sondern eine kontrollierte Version davon – eine Art emotional sichere Zone im Raum der öffentlichen Selbstdarstellung.
Für viele Menschen, besonders jene mit einem feinen Gespür für soziale Bewertung oder mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Grenzschutz, wirkt diese Form der Darstellung entlastend. Sie erlaubt: Ich bin präsent, aber nicht verletzlich. Ich zeige mich, aber nur in dem Rahmen, den ich selbst gestalte. Die Figur ersetzt das Selfie, weil sie das Risiko minimiert – und gleichzeitig mehr Ausdruck erlaubt.
Aus psychologischer Sicht könnte man sagen: Die Figur ist eine Projektionsfläche, in der Nähe möglich wird, ohne dass das Subjekt ganz verfügbar sein muss. In ihrer Verpackung ist sie nicht verschlossen, sondern geschützt. Das macht sie anschlussfähig – auch für Menschen, die mit der klassischen Sichtbarkeitslogik von sozialen Medien hadern. Sie ist nicht bloß Spielerei, sondern ein ernstzunehmendes Medium zwischenmenschlicher Kommunikation im digitalen Raum.
Gerade für Personen mit starker Selbstbeobachtung oder Angst vor Bewertung bietet die Figur eine Art psychologische Rüstung. Sie ist ein Schutzobjekt: persönlich, aber nicht privat. Nahbar, aber nicht verletzlich. Eine kuratierte Präsenz, die Spiel und Ernst miteinander verbindet.
Die Rückkehr des Spiels in die Erwachsenenwelt
Der Hype aktiviert unbewusst das Erinnerungsmaterial einer ganzen Generation. Wer mit Actionfiguren aufgewachsen ist, erkennt sofort die Symbolik: kontrollierbare Heldenfiguren, eingepackt, klar definiert. Es geht um Miniaturisierung, um Ordnung, um das Gefühl: "Ich habe alles im Griff" – zumindest im Maßstab 1:18. In einer Welt, die zunehmend komplex, widersprüchlich und krisenanfällig erscheint, bietet diese Darstellung eine Art nostalgische Entlastung. Sie gibt dem Chaos der Gegenwart eine Form, einen Rahmen – und sei es nur digital.
Psychologisch betrachtet handelt es sich um eine Form der spielerischen Regression, die nicht kindlich ist, sondern kreativ. Sie erlaubt es dem Ich, sich temporär zurückzuziehen, sich neu zu sortieren und eine verdaubare Version seiner selbst zu entwerfen. Dieses Spiel ist kein Rückschritt, sondern eine Form innerer Neuorganisation. Gerade im Erwachsenenalter, in dem Flexibilität und Selbstdarstellung zu Anforderungen geworden sind, erscheint die symbolische Figur wie eine Vereinfachung, die schützt und ordnet.
Man könnte auch sagen: Die Actionfigur ist eine Replik meiner Selbst – aber in einer Version, die ich aushalte. Ich kann sie gestalten, umstellen, verändern. Sie ist stabil und gleichzeitig variabel. In ihr steckt: "Ich bin viel – aber ich fasse mich kurz."
FOMO, Gruppendruck und das Zeichen „Ich bin dabei“
Ein weiterer starker Antrieb hinter der Verbreitung: FOMO. Die "Fear of Missing Out" ist längst keine Randerscheinung mehr, sondern Teil des digitalen Alltags. Wer keine Figur postet, wirkt nicht abwesend, sondern ahnungslos. In sozialen Netzwerken entsteht dadurch ein subtiler Druck zur Teilhabe – nicht nur, um "mitzuspielen", sondern auch, um als up to date zu gelten.
Die Actionfigur wird dadurch mehr als nur ein Bild. Sie wird zum sozialen Code, der Sichtbarkeit und Anschluss signalisiert. Sie funktioniert als Eintrittskarte in eine geteilte Gegenwart: "Ich weiß, was gerade passiert" – und ich weiß auch, wie ich es kulturell richtig spiele.
Dabei entsteht eine doppelte Bewegung: Einerseits werden Individuen in das kollektive Spiel der Plattformen eingebunden. Andererseits behalten sie durch Ironie und Designwahl Kontrolle über ihre Darstellung. Genau dieses Wechselspiel zwischen Zugehörigkeit und Individualisierung macht den Trend so anschlussfähig.
Die Figur zeigt, dass man technisch versiert ist, neue Features kennt, Teil des kollektiven Spiels ist. Das Bild sagt: "Ich weiß, wie man dazugehört." Und genau darin liegt ihre soziale Kraft.
Von Selfies zur Symbolfigur: KI überschreibt das Selbst
Noch vor wenigen Jahren genügte ein Selfie, um das eigene Bild nach außen zu tragen. Heute wird dieses Bild durch eine Beschreibung ersetzt – eine Textfläche, die von einer KI in ein visuelles Ergebnis übersetzt wird. Was entsteht, ist keine Fotografie, sondern eine Deutung. Kein „Ich bin das“, sondern ein „So könnte ich sein“ – aufgeladen mit Wunschbildern, Ironie, sozialem Code.
Diese Verschiebung hat tiefgreifende psychologische Implikationen. Die Repräsentation des Selbst wird zu einem aktiven Gestaltungsprozess, der mehr mit Rhetorik als mit Abbildung zu tun hat. Die Figur wird zur Antwort auf die Frage: Wie erzähle ich mich so, dass es in die digitale Öffentlichkeit passt, ohne mich zu verlieren?
Die generierten Figuren sind kein Spiegel – sie sind eine Art visuelles Essay. Ein verdichteter Ausdruck dessen, wie wir wahrgenommen werden wollen, ohne uns festzulegen. Sie funktionieren als symbolisches Angebot: "Nimm dieses Bild, versteh es richtig, und schließe mich darin ein."
Damit entsteht ein neues Verhältnis zur Sichtbarkeit. Sichtbar wird nicht mehr das, was ist, sondern das, was anschlussfähig scheint. Das Bild ist kein Spiegel mehr, sondern eine performative Fläche. Eine Darstellung des Selbst im Modus des Möglichen, nicht des Tatsächlichen.
Narzissmus oder Schutzgeste? Ein psychoanalytischer Blick
Kritiker:innen werfen dem Trend Oberflächlichkeit oder gar Narzissmus vor. Und tatsächlich lohnt es sich, den Begriff des Narzissmus hier nicht vorschnell zu entkräften. Denn wie Hans-Joachim Maaz in seinem Buch Die narzisstische Gesellschaft betont, hat sich in unserer Kultur eine neue Form des Narzissmus etabliert – eine, die nicht primär durch Grandiosität, sondern durch kompensatorische Selbstdarstellung geprägt ist.
Die Actionfigur passt erstaunlich gut in dieses Bild. Sie stellt eine Oberfläche zur Verfügung, die Aufmerksamkeit erzeugt, ohne zu viel zu offenbaren. Sie vereint das Bedürfnis nach Anerkennung mit dem Wunsch nach Schutz. Die Inszenierung des Selbst wird zur Strategie gegen die Erfahrung von Mangel, Unsicherheit und Beziehungslosigkeit – typische Symptome der narzisstischen Spätmoderne.
Psychoanalytisch betrachtet bleibt die Figur dennoch ambivalent. Nach Lacan wäre sie ein Objekt im imaginären Raum – eine Inszenierung des "Ich-für-den-Anderen". Sie stabilisiert das Selbstbild über Spiegelungen, die nicht zufällig, sondern algorithmisch vermittelt sind. Das Subjekt begegnet sich selbst – aber nur in der Verpackung, die von anderen kommentierbar, likbar, teilbar ist.
In diesem Sinn handelt es sich bei der Figur sowohl um eine Schutzgeste als auch um einen narzisstischen Reflex. Sie erlaubt Selbsterhöhung und Distanzierung zugleich. Sie ist ein Versuch, Beziehung zu erzeugen, ohne sich in Beziehung zu begeben. Und genau deshalb trifft sie den Nerv einer Gesellschaft, in der Sichtbarkeit zur zentralen Währung geworden ist – selbst dann, wenn sie aus Plastik ist.
Ironie als soziale Intelligenz
Der Ton der Posts ist selten ernst. Meist spricht eine Prise Ironie mit – in den Bildunterschriften, in den Stickertexten, in der Auswahl der Accessoires. "Remote Only", "Starter Pack", "Too Many Tabs Open" – all das verweist nicht nur auf humorvolle Selbsteinschätzung, sondern auch auf eine feine soziale Intelligenz: Wer sich selbstironisch inszeniert, demonstriert reflexive Distanz zum eigenen Tun.
Psychologisch betrachtet erfüllt diese Ironie eine doppelte Funktion. Zum einen dient sie als Schutz vor Entblößung – als emotionales Schutzschild gegenüber der potenziellen Peinlichkeit, sich selbst darzustellen. Zum anderen wirkt sie als Zugangscode zu einer bestimmten digitalen Gesprächskultur. Wer ironisch über sich selbst spricht, zeigt: Ich verstehe die Regeln. Ich bin anschlussfähig, ohne mich anzubiedern.
Ironie wird so zur sozialen Intelligenzform. Sie erlaubt, Teil zu sein, ohne sich ganz zu offenbaren. Sie verleiht der Figur Tiefe, ohne sie mit Bedeutung zu überladen. Und sie wirkt wie ein Augenzwinkern in einer Welt, in der Ernsthaftigkeit schnell als Schwäche gelesen wird.
Gleichzeitig markiert sie Zugehörigkeit: Wer den ironischen Ton trifft, zeigt, dass er oder sie den Code versteht. Die Actionfigur ist damit nicht nur ein Bild, sondern ein Kommentar. Sie sagt: "Ich nehme mich nicht zu ernst – aber ich weiß, was hier gespielt wird."
Fazit: Die Figur als Gegenwartsdiagnose
Der Actionfiguren-Trend ist mehr als ein viraler Hype. Er ist ein psychologischer Marker für den Zustand unserer digitalen Identitäten – und zugleich ein Spiegel für gesellschaftliche Prozesse der Vereinzelung, Überforderung und Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Die Figur erlaubt, was der Alltag oft nicht zulässt: sich zu zeigen, ohne sich vollständig aussetzen zu müssen. Sie gibt Halt, wo Unsicherheit herrscht. Sie erzeugt Anschluss, wo Beziehung abnimmt. Und sie bietet Symbolik, wo Worte fehlen.
In ihrer Form verbindet sie Nostalgie mit Technik, Rückzug mit Öffentlichkeit, Narzissmus mit Ironie. Sie ist eine Reaktion auf die Anforderungen einer Sichtbarkeitskultur, die immer wieder Nähe verlangt, aber selten echte Verbindung bietet. Die Actionfigur kompensiert diese Lücke, indem sie ein symbolisches Selbst präsentiert, das anschlussfähig, kommentierbar und ästhetisch aufbereitet ist – aber nie ganz wirklich.
In diesem Sinne ist sie kein harmloses Spielzeug, sondern eine kulturelle Stellvertreterlösung: für das Ich, das präsent sein muss, aber keine Sprache mehr findet. Für die Beziehung, die gesucht wird, aber nur bildlich funktioniert. Für das Subjekt, das sich mitteilt – aber lieber als Figur als als Mensch.
Vielleicht ist genau das ihr Kern: Sie bietet nicht Lösung, sondern Entlastung. Wer eine Figur postet, sagt: "Ich bin da – aber bitte auf meine Weise."
Fragen und Antworten zum Actionfigurentrend
Was genau ist der Actionfiguren-Trend auf Social Media?
Es handelt sich um KI-generierte Bilder, die reale Menschen als stilisierte, in Plastik verpackte Sammelfiguren darstellen. Nutzer:innen beschreiben sich selbst in einem kurzen Text und laden ein Selfie hoch – das Ergebnis ist ein Bild, das stark an Kindheitsspielzeug erinnert und zugleich soziale Zugehörigkeit signalisiert.
Warum begeistert der Trend so viele Menschen?
Weil er persönliche Darstellung erlaubt, ohne intime Einblicke zu verlangen. Die Figur ist individuell, aber distanziert – eine Form von kontrollierter Sichtbarkeit, die besonders in sozialen Netzwerken sehr attraktiv ist.
Was hat das mit Kindheit oder Nostalgie zu tun?
Viele verbinden Actionfiguren mit ihrer eigenen Kindheit. Das Format aktiviert unbewusst vertraute Muster: Ordnung, Kontrolle, Wiedererkennbarkeit. In einer komplexen Gegenwart schafft diese symbolische Rückkehr eine Form der Entlastung.
Welche Rolle spielt FOMO?
Der Trend breitet sich schnell aus, weil er als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit funktioniert. Wer keine Figur postet, läuft Gefahr, als nicht informiert oder unbeteiligt zu gelten. Die Angst, etwas zu verpassen, treibt zur Teilnahme an.
Wie verändert KI unser Selbstbild?
Das Bild entsteht nicht mehr direkt aus einem Foto, sondern aus Texten, Stimmungen und Rollenbildern. Die KI setzt Sprache in visuelle Identität um. Dadurch wird das Selbstbild fluider, symbolischer – ein performativer Akt statt eine Abbildung.
Ist das alles narzisstisch?
Teilweise ja. Die Actionfigur erfüllt typische Funktionen der narzisstischen Selbststabilisierung, wie sie Hans-Joachim Maaz beschreibt: Anerkennung erzeugen, ohne sich vollständig zu zeigen. Zugleich schützt sie vor Überforderung durch klare visuelle Rahmung.
Warum ist Ironie dabei so wichtig?
Ironie schützt vor Beschämung. Wer sich ironisch darstellt, signalisiert Reflexion – und dass er oder sie den kulturellen Code versteht. Ironie schafft Distanz und Zugehörigkeit zugleich.
Was sagt der Trend über unsere Gesellschaft aus?
Er zeigt, wie sehr wir uns nach Sichtbarkeit sehnen – bei gleichzeitigem Bedürfnis nach Schutz. Die Actionfigur ist kein Spielzeug, sondern ein Symbol unserer Zeit: für Unsicherheit, kreative Selbstbehauptung und digitale Beziehungssuche.
Zwischen Selfie, Spielzeug und Schutzpanzer – was KI-Actionfiguren über uns verraten – der neue Narzissmus im Blister
Einleitung: Was steckt hinter dem Trend?
Auf LinkedIn, Instagram und TikTok tauchen seit Wochen Bilder auf, die aussehen wie Spielzeugverpackungen aus den 90ern: Darin, ordentlich platziert und mit Accessoires versehen, nicht Superheld:innen, sondern ganz normale Menschen. Die eigene Person als Actionfigur, ausgestattet mit Laptop, Kaffeebecher oder Mikrofon – in einer Plastikbox, die mehr über unsere Gegenwart erzählt als viele Statusupdates. Der Auslöser: ein neues ChatGPT-Update, das per Texteingabe und Selfie ein Bild generiert. Der Vorgang ist simpel, das Ergebnis auffällig. Und genau deshalb ist der Trend so erfolgreich.
Was auf den ersten Blick wie ein viraler Gag wirkt, berührt psychologische Tiefenschichten. Die Actionfigur ist ein Hybrid aus Identitätsentwurf, sozialem Code und digitaler Coping-Strategie. Sie erlaubt uns, mit einem Minimum an Offenlegung ein Maximum an Präsenz zu erzeugen – und bietet zugleich ein ironisches Spielfeld zur Reflexion über das eigene Selbstbild.
In ihrer Ästhetik erinnert sie an Kindheit und Popkultur, in ihrer Funktion erfüllt sie jedoch tiefere Sehnsüchte: die nach Kontrolle über das eigene Bild, nach Sichtbarkeit ohne Verletzlichkeit, nach Zugehörigkeit in einer fragmentierten Öffentlichkeit. Gleichzeitig wirkt sie wie ein Abwehrmechanismus gegen die Komplexität der Gegenwart – ein kleiner symbolischer Raum, in dem das Ich vereinfacht, verpackt, bewahrt werden kann.
Sie sagt: "Ich gehöre dazu." Aber sie sagt es auf eine Weise, die Distanz ermöglicht. Sie ist Einladung und Abgrenzung zugleich. Genau darin liegt ihre Faszination.
Zwischen Sichtbarkeit und Schutzbedürfnis
In der digitalen Selbstinszenierung geht es längst nicht mehr nur um Authentizität, sondern um eine sensible Balance: sichtbar sein, ohne sich vollständig preiszugeben. Die KI-generierte Actionfigur trifft diesen Nerv auf den Punkt. Sie abstrahiert das Selbst, stilisiert es und rahmt es visuell ein. Sie stellt keine Wirklichkeit dar, sondern eine kontrollierte Version davon – eine Art emotional sichere Zone im Raum der öffentlichen Selbstdarstellung.
Für viele Menschen, besonders jene mit einem feinen Gespür für soziale Bewertung oder mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Grenzschutz, wirkt diese Form der Darstellung entlastend. Sie erlaubt: Ich bin präsent, aber nicht verletzlich. Ich zeige mich, aber nur in dem Rahmen, den ich selbst gestalte. Die Figur ersetzt das Selfie, weil sie das Risiko minimiert – und gleichzeitig mehr Ausdruck erlaubt.
Aus psychologischer Sicht könnte man sagen: Die Figur ist eine Projektionsfläche, in der Nähe möglich wird, ohne dass das Subjekt ganz verfügbar sein muss. In ihrer Verpackung ist sie nicht verschlossen, sondern geschützt. Das macht sie anschlussfähig – auch für Menschen, die mit der klassischen Sichtbarkeitslogik von sozialen Medien hadern. Sie ist nicht bloß Spielerei, sondern ein ernstzunehmendes Medium zwischenmenschlicher Kommunikation im digitalen Raum.
Gerade für Personen mit starker Selbstbeobachtung oder Angst vor Bewertung bietet die Figur eine Art psychologische Rüstung. Sie ist ein Schutzobjekt: persönlich, aber nicht privat. Nahbar, aber nicht verletzlich. Eine kuratierte Präsenz, die Spiel und Ernst miteinander verbindet.
Die Rückkehr des Spiels in die Erwachsenenwelt
Der Hype aktiviert unbewusst das Erinnerungsmaterial einer ganzen Generation. Wer mit Actionfiguren aufgewachsen ist, erkennt sofort die Symbolik: kontrollierbare Heldenfiguren, eingepackt, klar definiert. Es geht um Miniaturisierung, um Ordnung, um das Gefühl: "Ich habe alles im Griff" – zumindest im Maßstab 1:18. In einer Welt, die zunehmend komplex, widersprüchlich und krisenanfällig erscheint, bietet diese Darstellung eine Art nostalgische Entlastung. Sie gibt dem Chaos der Gegenwart eine Form, einen Rahmen – und sei es nur digital.
Psychologisch betrachtet handelt es sich um eine Form der spielerischen Regression, die nicht kindlich ist, sondern kreativ. Sie erlaubt es dem Ich, sich temporär zurückzuziehen, sich neu zu sortieren und eine verdaubare Version seiner selbst zu entwerfen. Dieses Spiel ist kein Rückschritt, sondern eine Form innerer Neuorganisation. Gerade im Erwachsenenalter, in dem Flexibilität und Selbstdarstellung zu Anforderungen geworden sind, erscheint die symbolische Figur wie eine Vereinfachung, die schützt und ordnet.
Man könnte auch sagen: Die Actionfigur ist eine Replik meiner Selbst – aber in einer Version, die ich aushalte. Ich kann sie gestalten, umstellen, verändern. Sie ist stabil und gleichzeitig variabel. In ihr steckt: "Ich bin viel – aber ich fasse mich kurz."
FOMO, Gruppendruck und das Zeichen „Ich bin dabei“
Ein weiterer starker Antrieb hinter der Verbreitung: FOMO. Die "Fear of Missing Out" ist längst keine Randerscheinung mehr, sondern Teil des digitalen Alltags. Wer keine Figur postet, wirkt nicht abwesend, sondern ahnungslos. In sozialen Netzwerken entsteht dadurch ein subtiler Druck zur Teilhabe – nicht nur, um "mitzuspielen", sondern auch, um als up to date zu gelten.
Die Actionfigur wird dadurch mehr als nur ein Bild. Sie wird zum sozialen Code, der Sichtbarkeit und Anschluss signalisiert. Sie funktioniert als Eintrittskarte in eine geteilte Gegenwart: "Ich weiß, was gerade passiert" – und ich weiß auch, wie ich es kulturell richtig spiele.
Dabei entsteht eine doppelte Bewegung: Einerseits werden Individuen in das kollektive Spiel der Plattformen eingebunden. Andererseits behalten sie durch Ironie und Designwahl Kontrolle über ihre Darstellung. Genau dieses Wechselspiel zwischen Zugehörigkeit und Individualisierung macht den Trend so anschlussfähig.
Die Figur zeigt, dass man technisch versiert ist, neue Features kennt, Teil des kollektiven Spiels ist. Das Bild sagt: "Ich weiß, wie man dazugehört." Und genau darin liegt ihre soziale Kraft.
Von Selfies zur Symbolfigur: KI überschreibt das Selbst
Noch vor wenigen Jahren genügte ein Selfie, um das eigene Bild nach außen zu tragen. Heute wird dieses Bild durch eine Beschreibung ersetzt – eine Textfläche, die von einer KI in ein visuelles Ergebnis übersetzt wird. Was entsteht, ist keine Fotografie, sondern eine Deutung. Kein „Ich bin das“, sondern ein „So könnte ich sein“ – aufgeladen mit Wunschbildern, Ironie, sozialem Code.
Diese Verschiebung hat tiefgreifende psychologische Implikationen. Die Repräsentation des Selbst wird zu einem aktiven Gestaltungsprozess, der mehr mit Rhetorik als mit Abbildung zu tun hat. Die Figur wird zur Antwort auf die Frage: Wie erzähle ich mich so, dass es in die digitale Öffentlichkeit passt, ohne mich zu verlieren?
Die generierten Figuren sind kein Spiegel – sie sind eine Art visuelles Essay. Ein verdichteter Ausdruck dessen, wie wir wahrgenommen werden wollen, ohne uns festzulegen. Sie funktionieren als symbolisches Angebot: "Nimm dieses Bild, versteh es richtig, und schließe mich darin ein."
Damit entsteht ein neues Verhältnis zur Sichtbarkeit. Sichtbar wird nicht mehr das, was ist, sondern das, was anschlussfähig scheint. Das Bild ist kein Spiegel mehr, sondern eine performative Fläche. Eine Darstellung des Selbst im Modus des Möglichen, nicht des Tatsächlichen.
Narzissmus oder Schutzgeste? Ein psychoanalytischer Blick
Kritiker:innen werfen dem Trend Oberflächlichkeit oder gar Narzissmus vor. Und tatsächlich lohnt es sich, den Begriff des Narzissmus hier nicht vorschnell zu entkräften. Denn wie Hans-Joachim Maaz in seinem Buch Die narzisstische Gesellschaft betont, hat sich in unserer Kultur eine neue Form des Narzissmus etabliert – eine, die nicht primär durch Grandiosität, sondern durch kompensatorische Selbstdarstellung geprägt ist.
Die Actionfigur passt erstaunlich gut in dieses Bild. Sie stellt eine Oberfläche zur Verfügung, die Aufmerksamkeit erzeugt, ohne zu viel zu offenbaren. Sie vereint das Bedürfnis nach Anerkennung mit dem Wunsch nach Schutz. Die Inszenierung des Selbst wird zur Strategie gegen die Erfahrung von Mangel, Unsicherheit und Beziehungslosigkeit – typische Symptome der narzisstischen Spätmoderne.
Psychoanalytisch betrachtet bleibt die Figur dennoch ambivalent. Nach Lacan wäre sie ein Objekt im imaginären Raum – eine Inszenierung des "Ich-für-den-Anderen". Sie stabilisiert das Selbstbild über Spiegelungen, die nicht zufällig, sondern algorithmisch vermittelt sind. Das Subjekt begegnet sich selbst – aber nur in der Verpackung, die von anderen kommentierbar, likbar, teilbar ist.
In diesem Sinn handelt es sich bei der Figur sowohl um eine Schutzgeste als auch um einen narzisstischen Reflex. Sie erlaubt Selbsterhöhung und Distanzierung zugleich. Sie ist ein Versuch, Beziehung zu erzeugen, ohne sich in Beziehung zu begeben. Und genau deshalb trifft sie den Nerv einer Gesellschaft, in der Sichtbarkeit zur zentralen Währung geworden ist – selbst dann, wenn sie aus Plastik ist.
Ironie als soziale Intelligenz
Der Ton der Posts ist selten ernst. Meist spricht eine Prise Ironie mit – in den Bildunterschriften, in den Stickertexten, in der Auswahl der Accessoires. "Remote Only", "Starter Pack", "Too Many Tabs Open" – all das verweist nicht nur auf humorvolle Selbsteinschätzung, sondern auch auf eine feine soziale Intelligenz: Wer sich selbstironisch inszeniert, demonstriert reflexive Distanz zum eigenen Tun.
Psychologisch betrachtet erfüllt diese Ironie eine doppelte Funktion. Zum einen dient sie als Schutz vor Entblößung – als emotionales Schutzschild gegenüber der potenziellen Peinlichkeit, sich selbst darzustellen. Zum anderen wirkt sie als Zugangscode zu einer bestimmten digitalen Gesprächskultur. Wer ironisch über sich selbst spricht, zeigt: Ich verstehe die Regeln. Ich bin anschlussfähig, ohne mich anzubiedern.
Ironie wird so zur sozialen Intelligenzform. Sie erlaubt, Teil zu sein, ohne sich ganz zu offenbaren. Sie verleiht der Figur Tiefe, ohne sie mit Bedeutung zu überladen. Und sie wirkt wie ein Augenzwinkern in einer Welt, in der Ernsthaftigkeit schnell als Schwäche gelesen wird.
Gleichzeitig markiert sie Zugehörigkeit: Wer den ironischen Ton trifft, zeigt, dass er oder sie den Code versteht. Die Actionfigur ist damit nicht nur ein Bild, sondern ein Kommentar. Sie sagt: "Ich nehme mich nicht zu ernst – aber ich weiß, was hier gespielt wird."
Fazit: Die Figur als Gegenwartsdiagnose
Der Actionfiguren-Trend ist mehr als ein viraler Hype. Er ist ein psychologischer Marker für den Zustand unserer digitalen Identitäten – und zugleich ein Spiegel für gesellschaftliche Prozesse der Vereinzelung, Überforderung und Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Die Figur erlaubt, was der Alltag oft nicht zulässt: sich zu zeigen, ohne sich vollständig aussetzen zu müssen. Sie gibt Halt, wo Unsicherheit herrscht. Sie erzeugt Anschluss, wo Beziehung abnimmt. Und sie bietet Symbolik, wo Worte fehlen.
In ihrer Form verbindet sie Nostalgie mit Technik, Rückzug mit Öffentlichkeit, Narzissmus mit Ironie. Sie ist eine Reaktion auf die Anforderungen einer Sichtbarkeitskultur, die immer wieder Nähe verlangt, aber selten echte Verbindung bietet. Die Actionfigur kompensiert diese Lücke, indem sie ein symbolisches Selbst präsentiert, das anschlussfähig, kommentierbar und ästhetisch aufbereitet ist – aber nie ganz wirklich.
In diesem Sinne ist sie kein harmloses Spielzeug, sondern eine kulturelle Stellvertreterlösung: für das Ich, das präsent sein muss, aber keine Sprache mehr findet. Für die Beziehung, die gesucht wird, aber nur bildlich funktioniert. Für das Subjekt, das sich mitteilt – aber lieber als Figur als als Mensch.
Vielleicht ist genau das ihr Kern: Sie bietet nicht Lösung, sondern Entlastung. Wer eine Figur postet, sagt: "Ich bin da – aber bitte auf meine Weise."
Fragen und Antworten zum Actionfigurentrend
Was genau ist der Actionfiguren-Trend auf Social Media?
Es handelt sich um KI-generierte Bilder, die reale Menschen als stilisierte, in Plastik verpackte Sammelfiguren darstellen. Nutzer:innen beschreiben sich selbst in einem kurzen Text und laden ein Selfie hoch – das Ergebnis ist ein Bild, das stark an Kindheitsspielzeug erinnert und zugleich soziale Zugehörigkeit signalisiert.
Warum begeistert der Trend so viele Menschen?
Weil er persönliche Darstellung erlaubt, ohne intime Einblicke zu verlangen. Die Figur ist individuell, aber distanziert – eine Form von kontrollierter Sichtbarkeit, die besonders in sozialen Netzwerken sehr attraktiv ist.
Was hat das mit Kindheit oder Nostalgie zu tun?
Viele verbinden Actionfiguren mit ihrer eigenen Kindheit. Das Format aktiviert unbewusst vertraute Muster: Ordnung, Kontrolle, Wiedererkennbarkeit. In einer komplexen Gegenwart schafft diese symbolische Rückkehr eine Form der Entlastung.
Welche Rolle spielt FOMO?
Der Trend breitet sich schnell aus, weil er als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit funktioniert. Wer keine Figur postet, läuft Gefahr, als nicht informiert oder unbeteiligt zu gelten. Die Angst, etwas zu verpassen, treibt zur Teilnahme an.
Wie verändert KI unser Selbstbild?
Das Bild entsteht nicht mehr direkt aus einem Foto, sondern aus Texten, Stimmungen und Rollenbildern. Die KI setzt Sprache in visuelle Identität um. Dadurch wird das Selbstbild fluider, symbolischer – ein performativer Akt statt eine Abbildung.
Ist das alles narzisstisch?
Teilweise ja. Die Actionfigur erfüllt typische Funktionen der narzisstischen Selbststabilisierung, wie sie Hans-Joachim Maaz beschreibt: Anerkennung erzeugen, ohne sich vollständig zu zeigen. Zugleich schützt sie vor Überforderung durch klare visuelle Rahmung.
Warum ist Ironie dabei so wichtig?
Ironie schützt vor Beschämung. Wer sich ironisch darstellt, signalisiert Reflexion – und dass er oder sie den kulturellen Code versteht. Ironie schafft Distanz und Zugehörigkeit zugleich.
Was sagt der Trend über unsere Gesellschaft aus?
Er zeigt, wie sehr wir uns nach Sichtbarkeit sehnen – bei gleichzeitigem Bedürfnis nach Schutz. Die Actionfigur ist kein Spielzeug, sondern ein Symbol unserer Zeit: für Unsicherheit, kreative Selbstbehauptung und digitale Beziehungssuche.
Zwischen Selfie, Spielzeug und Schutzpanzer – was KI-Actionfiguren über uns verraten – der neue Narzissmus im Blister
Einleitung: Was steckt hinter dem Trend?
Auf LinkedIn, Instagram und TikTok tauchen seit Wochen Bilder auf, die aussehen wie Spielzeugverpackungen aus den 90ern: Darin, ordentlich platziert und mit Accessoires versehen, nicht Superheld:innen, sondern ganz normale Menschen. Die eigene Person als Actionfigur, ausgestattet mit Laptop, Kaffeebecher oder Mikrofon – in einer Plastikbox, die mehr über unsere Gegenwart erzählt als viele Statusupdates. Der Auslöser: ein neues ChatGPT-Update, das per Texteingabe und Selfie ein Bild generiert. Der Vorgang ist simpel, das Ergebnis auffällig. Und genau deshalb ist der Trend so erfolgreich.
Was auf den ersten Blick wie ein viraler Gag wirkt, berührt psychologische Tiefenschichten. Die Actionfigur ist ein Hybrid aus Identitätsentwurf, sozialem Code und digitaler Coping-Strategie. Sie erlaubt uns, mit einem Minimum an Offenlegung ein Maximum an Präsenz zu erzeugen – und bietet zugleich ein ironisches Spielfeld zur Reflexion über das eigene Selbstbild.
In ihrer Ästhetik erinnert sie an Kindheit und Popkultur, in ihrer Funktion erfüllt sie jedoch tiefere Sehnsüchte: die nach Kontrolle über das eigene Bild, nach Sichtbarkeit ohne Verletzlichkeit, nach Zugehörigkeit in einer fragmentierten Öffentlichkeit. Gleichzeitig wirkt sie wie ein Abwehrmechanismus gegen die Komplexität der Gegenwart – ein kleiner symbolischer Raum, in dem das Ich vereinfacht, verpackt, bewahrt werden kann.
Sie sagt: "Ich gehöre dazu." Aber sie sagt es auf eine Weise, die Distanz ermöglicht. Sie ist Einladung und Abgrenzung zugleich. Genau darin liegt ihre Faszination.
Zwischen Sichtbarkeit und Schutzbedürfnis
In der digitalen Selbstinszenierung geht es längst nicht mehr nur um Authentizität, sondern um eine sensible Balance: sichtbar sein, ohne sich vollständig preiszugeben. Die KI-generierte Actionfigur trifft diesen Nerv auf den Punkt. Sie abstrahiert das Selbst, stilisiert es und rahmt es visuell ein. Sie stellt keine Wirklichkeit dar, sondern eine kontrollierte Version davon – eine Art emotional sichere Zone im Raum der öffentlichen Selbstdarstellung.
Für viele Menschen, besonders jene mit einem feinen Gespür für soziale Bewertung oder mit einem ausgeprägten Bedürfnis nach Grenzschutz, wirkt diese Form der Darstellung entlastend. Sie erlaubt: Ich bin präsent, aber nicht verletzlich. Ich zeige mich, aber nur in dem Rahmen, den ich selbst gestalte. Die Figur ersetzt das Selfie, weil sie das Risiko minimiert – und gleichzeitig mehr Ausdruck erlaubt.
Aus psychologischer Sicht könnte man sagen: Die Figur ist eine Projektionsfläche, in der Nähe möglich wird, ohne dass das Subjekt ganz verfügbar sein muss. In ihrer Verpackung ist sie nicht verschlossen, sondern geschützt. Das macht sie anschlussfähig – auch für Menschen, die mit der klassischen Sichtbarkeitslogik von sozialen Medien hadern. Sie ist nicht bloß Spielerei, sondern ein ernstzunehmendes Medium zwischenmenschlicher Kommunikation im digitalen Raum.
Gerade für Personen mit starker Selbstbeobachtung oder Angst vor Bewertung bietet die Figur eine Art psychologische Rüstung. Sie ist ein Schutzobjekt: persönlich, aber nicht privat. Nahbar, aber nicht verletzlich. Eine kuratierte Präsenz, die Spiel und Ernst miteinander verbindet.
Die Rückkehr des Spiels in die Erwachsenenwelt
Der Hype aktiviert unbewusst das Erinnerungsmaterial einer ganzen Generation. Wer mit Actionfiguren aufgewachsen ist, erkennt sofort die Symbolik: kontrollierbare Heldenfiguren, eingepackt, klar definiert. Es geht um Miniaturisierung, um Ordnung, um das Gefühl: "Ich habe alles im Griff" – zumindest im Maßstab 1:18. In einer Welt, die zunehmend komplex, widersprüchlich und krisenanfällig erscheint, bietet diese Darstellung eine Art nostalgische Entlastung. Sie gibt dem Chaos der Gegenwart eine Form, einen Rahmen – und sei es nur digital.
Psychologisch betrachtet handelt es sich um eine Form der spielerischen Regression, die nicht kindlich ist, sondern kreativ. Sie erlaubt es dem Ich, sich temporär zurückzuziehen, sich neu zu sortieren und eine verdaubare Version seiner selbst zu entwerfen. Dieses Spiel ist kein Rückschritt, sondern eine Form innerer Neuorganisation. Gerade im Erwachsenenalter, in dem Flexibilität und Selbstdarstellung zu Anforderungen geworden sind, erscheint die symbolische Figur wie eine Vereinfachung, die schützt und ordnet.
Man könnte auch sagen: Die Actionfigur ist eine Replik meiner Selbst – aber in einer Version, die ich aushalte. Ich kann sie gestalten, umstellen, verändern. Sie ist stabil und gleichzeitig variabel. In ihr steckt: "Ich bin viel – aber ich fasse mich kurz."
FOMO, Gruppendruck und das Zeichen „Ich bin dabei“
Ein weiterer starker Antrieb hinter der Verbreitung: FOMO. Die "Fear of Missing Out" ist längst keine Randerscheinung mehr, sondern Teil des digitalen Alltags. Wer keine Figur postet, wirkt nicht abwesend, sondern ahnungslos. In sozialen Netzwerken entsteht dadurch ein subtiler Druck zur Teilhabe – nicht nur, um "mitzuspielen", sondern auch, um als up to date zu gelten.
Die Actionfigur wird dadurch mehr als nur ein Bild. Sie wird zum sozialen Code, der Sichtbarkeit und Anschluss signalisiert. Sie funktioniert als Eintrittskarte in eine geteilte Gegenwart: "Ich weiß, was gerade passiert" – und ich weiß auch, wie ich es kulturell richtig spiele.
Dabei entsteht eine doppelte Bewegung: Einerseits werden Individuen in das kollektive Spiel der Plattformen eingebunden. Andererseits behalten sie durch Ironie und Designwahl Kontrolle über ihre Darstellung. Genau dieses Wechselspiel zwischen Zugehörigkeit und Individualisierung macht den Trend so anschlussfähig.
Die Figur zeigt, dass man technisch versiert ist, neue Features kennt, Teil des kollektiven Spiels ist. Das Bild sagt: "Ich weiß, wie man dazugehört." Und genau darin liegt ihre soziale Kraft.
Von Selfies zur Symbolfigur: KI überschreibt das Selbst
Noch vor wenigen Jahren genügte ein Selfie, um das eigene Bild nach außen zu tragen. Heute wird dieses Bild durch eine Beschreibung ersetzt – eine Textfläche, die von einer KI in ein visuelles Ergebnis übersetzt wird. Was entsteht, ist keine Fotografie, sondern eine Deutung. Kein „Ich bin das“, sondern ein „So könnte ich sein“ – aufgeladen mit Wunschbildern, Ironie, sozialem Code.
Diese Verschiebung hat tiefgreifende psychologische Implikationen. Die Repräsentation des Selbst wird zu einem aktiven Gestaltungsprozess, der mehr mit Rhetorik als mit Abbildung zu tun hat. Die Figur wird zur Antwort auf die Frage: Wie erzähle ich mich so, dass es in die digitale Öffentlichkeit passt, ohne mich zu verlieren?
Die generierten Figuren sind kein Spiegel – sie sind eine Art visuelles Essay. Ein verdichteter Ausdruck dessen, wie wir wahrgenommen werden wollen, ohne uns festzulegen. Sie funktionieren als symbolisches Angebot: "Nimm dieses Bild, versteh es richtig, und schließe mich darin ein."
Damit entsteht ein neues Verhältnis zur Sichtbarkeit. Sichtbar wird nicht mehr das, was ist, sondern das, was anschlussfähig scheint. Das Bild ist kein Spiegel mehr, sondern eine performative Fläche. Eine Darstellung des Selbst im Modus des Möglichen, nicht des Tatsächlichen.
Narzissmus oder Schutzgeste? Ein psychoanalytischer Blick
Kritiker:innen werfen dem Trend Oberflächlichkeit oder gar Narzissmus vor. Und tatsächlich lohnt es sich, den Begriff des Narzissmus hier nicht vorschnell zu entkräften. Denn wie Hans-Joachim Maaz in seinem Buch Die narzisstische Gesellschaft betont, hat sich in unserer Kultur eine neue Form des Narzissmus etabliert – eine, die nicht primär durch Grandiosität, sondern durch kompensatorische Selbstdarstellung geprägt ist.
Die Actionfigur passt erstaunlich gut in dieses Bild. Sie stellt eine Oberfläche zur Verfügung, die Aufmerksamkeit erzeugt, ohne zu viel zu offenbaren. Sie vereint das Bedürfnis nach Anerkennung mit dem Wunsch nach Schutz. Die Inszenierung des Selbst wird zur Strategie gegen die Erfahrung von Mangel, Unsicherheit und Beziehungslosigkeit – typische Symptome der narzisstischen Spätmoderne.
Psychoanalytisch betrachtet bleibt die Figur dennoch ambivalent. Nach Lacan wäre sie ein Objekt im imaginären Raum – eine Inszenierung des "Ich-für-den-Anderen". Sie stabilisiert das Selbstbild über Spiegelungen, die nicht zufällig, sondern algorithmisch vermittelt sind. Das Subjekt begegnet sich selbst – aber nur in der Verpackung, die von anderen kommentierbar, likbar, teilbar ist.
In diesem Sinn handelt es sich bei der Figur sowohl um eine Schutzgeste als auch um einen narzisstischen Reflex. Sie erlaubt Selbsterhöhung und Distanzierung zugleich. Sie ist ein Versuch, Beziehung zu erzeugen, ohne sich in Beziehung zu begeben. Und genau deshalb trifft sie den Nerv einer Gesellschaft, in der Sichtbarkeit zur zentralen Währung geworden ist – selbst dann, wenn sie aus Plastik ist.
Ironie als soziale Intelligenz
Der Ton der Posts ist selten ernst. Meist spricht eine Prise Ironie mit – in den Bildunterschriften, in den Stickertexten, in der Auswahl der Accessoires. "Remote Only", "Starter Pack", "Too Many Tabs Open" – all das verweist nicht nur auf humorvolle Selbsteinschätzung, sondern auch auf eine feine soziale Intelligenz: Wer sich selbstironisch inszeniert, demonstriert reflexive Distanz zum eigenen Tun.
Psychologisch betrachtet erfüllt diese Ironie eine doppelte Funktion. Zum einen dient sie als Schutz vor Entblößung – als emotionales Schutzschild gegenüber der potenziellen Peinlichkeit, sich selbst darzustellen. Zum anderen wirkt sie als Zugangscode zu einer bestimmten digitalen Gesprächskultur. Wer ironisch über sich selbst spricht, zeigt: Ich verstehe die Regeln. Ich bin anschlussfähig, ohne mich anzubiedern.
Ironie wird so zur sozialen Intelligenzform. Sie erlaubt, Teil zu sein, ohne sich ganz zu offenbaren. Sie verleiht der Figur Tiefe, ohne sie mit Bedeutung zu überladen. Und sie wirkt wie ein Augenzwinkern in einer Welt, in der Ernsthaftigkeit schnell als Schwäche gelesen wird.
Gleichzeitig markiert sie Zugehörigkeit: Wer den ironischen Ton trifft, zeigt, dass er oder sie den Code versteht. Die Actionfigur ist damit nicht nur ein Bild, sondern ein Kommentar. Sie sagt: "Ich nehme mich nicht zu ernst – aber ich weiß, was hier gespielt wird."
Fazit: Die Figur als Gegenwartsdiagnose
Der Actionfiguren-Trend ist mehr als ein viraler Hype. Er ist ein psychologischer Marker für den Zustand unserer digitalen Identitäten – und zugleich ein Spiegel für gesellschaftliche Prozesse der Vereinzelung, Überforderung und Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Die Figur erlaubt, was der Alltag oft nicht zulässt: sich zu zeigen, ohne sich vollständig aussetzen zu müssen. Sie gibt Halt, wo Unsicherheit herrscht. Sie erzeugt Anschluss, wo Beziehung abnimmt. Und sie bietet Symbolik, wo Worte fehlen.
In ihrer Form verbindet sie Nostalgie mit Technik, Rückzug mit Öffentlichkeit, Narzissmus mit Ironie. Sie ist eine Reaktion auf die Anforderungen einer Sichtbarkeitskultur, die immer wieder Nähe verlangt, aber selten echte Verbindung bietet. Die Actionfigur kompensiert diese Lücke, indem sie ein symbolisches Selbst präsentiert, das anschlussfähig, kommentierbar und ästhetisch aufbereitet ist – aber nie ganz wirklich.
In diesem Sinne ist sie kein harmloses Spielzeug, sondern eine kulturelle Stellvertreterlösung: für das Ich, das präsent sein muss, aber keine Sprache mehr findet. Für die Beziehung, die gesucht wird, aber nur bildlich funktioniert. Für das Subjekt, das sich mitteilt – aber lieber als Figur als als Mensch.
Vielleicht ist genau das ihr Kern: Sie bietet nicht Lösung, sondern Entlastung. Wer eine Figur postet, sagt: "Ich bin da – aber bitte auf meine Weise."
Fragen und Antworten zum Actionfigurentrend
Was genau ist der Actionfiguren-Trend auf Social Media?
Es handelt sich um KI-generierte Bilder, die reale Menschen als stilisierte, in Plastik verpackte Sammelfiguren darstellen. Nutzer:innen beschreiben sich selbst in einem kurzen Text und laden ein Selfie hoch – das Ergebnis ist ein Bild, das stark an Kindheitsspielzeug erinnert und zugleich soziale Zugehörigkeit signalisiert.
Warum begeistert der Trend so viele Menschen?
Weil er persönliche Darstellung erlaubt, ohne intime Einblicke zu verlangen. Die Figur ist individuell, aber distanziert – eine Form von kontrollierter Sichtbarkeit, die besonders in sozialen Netzwerken sehr attraktiv ist.
Was hat das mit Kindheit oder Nostalgie zu tun?
Viele verbinden Actionfiguren mit ihrer eigenen Kindheit. Das Format aktiviert unbewusst vertraute Muster: Ordnung, Kontrolle, Wiedererkennbarkeit. In einer komplexen Gegenwart schafft diese symbolische Rückkehr eine Form der Entlastung.
Welche Rolle spielt FOMO?
Der Trend breitet sich schnell aus, weil er als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit funktioniert. Wer keine Figur postet, läuft Gefahr, als nicht informiert oder unbeteiligt zu gelten. Die Angst, etwas zu verpassen, treibt zur Teilnahme an.
Wie verändert KI unser Selbstbild?
Das Bild entsteht nicht mehr direkt aus einem Foto, sondern aus Texten, Stimmungen und Rollenbildern. Die KI setzt Sprache in visuelle Identität um. Dadurch wird das Selbstbild fluider, symbolischer – ein performativer Akt statt eine Abbildung.
Ist das alles narzisstisch?
Teilweise ja. Die Actionfigur erfüllt typische Funktionen der narzisstischen Selbststabilisierung, wie sie Hans-Joachim Maaz beschreibt: Anerkennung erzeugen, ohne sich vollständig zu zeigen. Zugleich schützt sie vor Überforderung durch klare visuelle Rahmung.
Warum ist Ironie dabei so wichtig?
Ironie schützt vor Beschämung. Wer sich ironisch darstellt, signalisiert Reflexion – und dass er oder sie den kulturellen Code versteht. Ironie schafft Distanz und Zugehörigkeit zugleich.
Was sagt der Trend über unsere Gesellschaft aus?
Er zeigt, wie sehr wir uns nach Sichtbarkeit sehnen – bei gleichzeitigem Bedürfnis nach Schutz. Die Actionfigur ist kein Spielzeug, sondern ein Symbol unserer Zeit: für Unsicherheit, kreative Selbstbehauptung und digitale Beziehungssuche.
Kommentare
Aufgrund von technischen Einschränkungen können momentan keine Kommentare angezeigt werden, die Kommas enthalten.
Bitte beachten Sie, dass diese Kommentarsektion für kurze Kommentare gedacht ist. Längere Kommentare werden nicht angezeigt. Wenn Sie einen ausführlicheren Kommentar zu diesem Artikel verfassen möchten, senden Sie diesen bitte über das Kontaktformular an mich.