Nikolaustag: Nikolaus von Myra, Datum, Bräuche und Bedeutung

Nikolaustag: Nikolaus von Myra, Datum, Bräuche und Bedeutung

Nikolaustag

Veröffentlicht am:

05.12.2025

ein bild von jemanden der aussieht wie ein bischof, winter
ein bild von jemanden der aussieht wie ein bischof, winter

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Nikolaustag: der Heilige Nikolaus von Myra, ein Brauch und die Bedeutung hinter dem 6. Dezember. Warum stellen wir einen Stiefel vor die Tür?

Wer war Nikolaus von Myra? Alles über den Nikolaustag am 6. Dezember, Sankt Nikolaus, den Weihnachtsmann und Nüsse im Stiefel

Der Dezember ist eine Zeit voller Magie, Lichter und uralter Traditionen. Doch kaum eine Figur ist so facettenreich wie der Mann, den wir am Anfang des Monats feiern. Viele Menschen verwechseln ihn heute mit dem Weihnachtsmann, doch der Nikolaustag hat eine eigene, viel ältere Geschichte.

Worum es geht:

·         warum wir den Nikolaustag am 6. Dezember begehen,

·         warum selbst eine einfache Nuss eine tiefe symbolische Bedeutung trägt,

·         eine Reise von der heutigen Türkei bis in die deutschen Wohnzimmer,

·         eine Entschlüsselung von Namen und Legenden und

·         einen tiefenpsychologischen Blick in die Seele dieses Brauchtums, und

·         wie sich die Figur vom Sankt Nikolaus zum modernen Weihnachtsmann entwickelte,

Tauchen wir ein in die Welt von Nikolaus von Myra. Wer war dieser Bischof wirklich, der Generationen von Kindern geprägt hat? Warum stellen wir Stiefel vor die Tür? Und was hat es mit den düsteren Begleitern auf sich?

Wer war der heilige Nikolaus von Myra wirklich?

Wenn wir heute an den Nikolaustag denken, haben wir meist das Bild eines gütigen älteren Mannes vor Augen. Doch die historische Basis ist komplex. Wer war Nikolaus von Myra? Historiker gehen davon aus, dass Nikolaus zwischen 270 und 286 in Patara geboren wurde, einer antiken Stadt in Lykien (in der heutigen Türkei). Er stammte aus einer wohlhabenden Familie. Schon früh zeigte sich seine Frömmigkeit. Sein Onkel, ebenfalls ein Bischof, erkannte das, und so wurde der junge Nikolaus bereits mit 19 Jahren zum Priester geweiht.

Als junger Mann verlor er seine Eltern an die Pest. Anstatt das Vermögen für sich zu behalten, verteilte er sein großes Erbe unter den armen Menschen. Das begründete seinen Ruf als Gabenbringer, der den Kindern besonders gütig gesinnt ist. Später wurde er zum Bischof von Myra ernannt. Doch sein Leben war nicht nur friedlich. Während der Christenverfolgung unter Kaiser Galerius (um 310) wurde er gefangen genommen und gefoltert. Er überlebte jedoch und nahm im Jahr 325 am berühmten Konzil von Nicäa teil. Er starb an einem 6. Dezember, vermutlich im Jahr 343, 350 oder 352.

Bischof von Myra oder Abt von Sion: Wer ist wer?

Es gibt wenige belegte Tatsachen über das exakte Leben, da sich im Laufe der Jahrhunderte zwei historische Figuren zu einer einzigen verschmolzen haben. Die Figur, die wir heute als den Heiligen Nikolaus verehren, ist eine Mischung aus dem Bischof Nikolaus von Myra (4. Jahrhundert) und dem Abt Nikolaus von Sion. Letzterer lebte im 6. Jahrhundert und war Bischof von Pinara sowie Vorsteher des Klosters Sion in der Nähe von Myra.

Diese Verschmelzung erklärt die Fülle an Wundern und Geschichten, die dem Heiligen zugeschrieben werden. Die Verehrung des Nikolaus breitete sich rasant aus. Ein entscheidendes Datum ist das Jahr 1087, als italienische Kaufleute (oder Piraten, je nach Sichtweise) die Gebeine des Heiligen aus der Kirche von Myra stahlen und ins italienische Bari brachten, angeblich, um sie vor der Eroberung durch die Seldschuken zu schützen. Nun ruhen sie noch heute in der Basilika San Nicola. Durch diesen „Umzug“ wurde die Verehrung in Westeuropa massiv verstärkt und Bari wurde zu einem der wichtigsten Pilgerzentren. (Reliquienraub war damals ein einträgliches altes Geschäft. Die Reliquien des Heiligen Markus wurden schon 828 von venezianischen Händlern aus Alexandria gestohlen und nach Venedig gebracht. Wer Reliquien besaß, erzielte beträchtliche Einnahmen von Pilgern.)

Welche Legenden und Bräuche prägen unser Bild vom Heiligen?

Die Legenden um Nikolaus sind zahlreich und bilden das Fundament für das heutige Brauchtum. Die bekannteste Geschichte erzählt von einem verarmten Vater und seinen drei Töchtern. Da der Vater keine Mitgift aufbringen konnte, drohte den jungen Frauen die Prostitution

Es handelt sich hierbei um die berühmteste und älteste Legende (die sogenannte „Mitgift-Legende“ oder „Legende von den drei Jungfrauen“), die über Nikolaus von Myra überliefert ist. Sie stammt aus der Legenda Aurea (Goldene Legende), einer Sammlung von Heiligenlegenden aus dem 13. Jahrhundert, die auf viel älteren griechischen Quellen (ab dem 6. Jh.) basiert. Dort wird explizit beschrieben, dass der verarmte Vater plante, seine Töchter der Prostitution preiszugeben, weil er keinen anderen Ausweg mehr sah, um das Überleben der Familie zu sichern. Um diese drastische Logik der Legende zu verstehen, muss man die gesellschaftlichen Strukturen der Spätantike betrachten: Eine standesgemäße Heirat war ohne Mitgift (Geld oder Güter, die die Braut in die Ehe einbringt) praktisch unmöglich. Ohne Mitgift gab es keinen Ehemann. Es gab auch kein Sozialsystem. Für unverehelichte Frauen gab es aber kaum Möglichkeiten, ehrbar Geld zu verdienen.

In der Heiligenbeschreibung wird die Situation, gemäß der beabsichtigten Botschaft, natürlich dramatisch zugespitzt: Der Vater sieht vor lauter Armut keinen anderen Ausweg, als seine Töchter der Sünde zu opfern, damit die Familie nicht verhungert. Genau hier setzt das Wunder an: Nikolaus erfährt von dieser Verzweiflungstat. Er wirft nachts heimlich Goldklumpen (oder Goldbeutel) durch das Fenster. Mit dem ersten Klumpen konnte die erste Tochter heiraten (die Mitgift war da). Das wiederholte er für die zweite und dritte Tochter. Er rettete sie also – in der Diktion der Legende – vor der »Sünde« und dem sozialen Abgrund und ermöglichte ihnen eine ehrbare Existenz durch Heirat.

Die Goldklumpen landeten, in der späteren Überlieferung, angeblich in Socken oder Schuhen, die zum Trocknen am Kamin hingen. Da fragte schon niemand mehr, ob man von der Straße aus durch Fenster, ohne die Hausbewohner zu wecken, Goldklumpen in unbeleuchtete Häuser werfen und dabei noch Socken und Schuhe treffen kann. Heilige können das. Aber: Wer trocknete im spätantiken Lykien eigentlich Socken an Kaminen? Legende hin, Logik her. Auf jeden Fall liegt in dieser Überlieferung der Ursprung für den Brauch, geputzte Schuhe vor die Tür oder den Kamin zu stellen.

Eine weitere bedeutende Erzählung ist das Kornwunder, bei dem Nikolaus eine Hungersnot in Myra abwendete, indem er Seeleute überredete, Getreide abzugeben, welches sich dann wundersam vermehrte. Der Witz an der Legende ist gerade: Er hat ihnen das Getreide nicht „abgeluchst“, sondern er hat ein ziemlich modernes magisches Win-Win-Szenario erschaffen. Die Legende besagt: Eine Flotte mit Kornschiffen aus Ägypten (dem damaligen Brotkorb Roms) habe in Myra Halt gemacht. Die Stadt hungerte. Nikolaus bat die Kapitäne, etwas Korn abzugeben. Die Kapitäne lehnen ab: „Das Korn ist für den Kaiser in Konstantinopel. Es ist genau abgewogen. Wenn etwas fehlt, wird uns der Kopf abgeschlagen.“ Nikolaus verspricht ihnen: „Ihr werdet keine Unannehmlichkeiten haben. Das Gewicht wird sich nicht ändern.“ Die Kapitäne vertrauen ihm zögernd und laden Korn ab, bis die Speicher von Myra voll sind. Als sie später in Konstantinopel ankommen und die Ladung vom kaiserlichen Zoll gewogen wird, fehlt nicht ein einziges Gramm. Die Ladung hat sich wundersam vermehrt.

Warum macht ihn das zum Patron der Seefahrer? Er hat die Seefahrer vor dem Zorn des Kaisers bewahrt (das Gewicht stimmte). Die Seeleute wurden zu Augenzeugen seiner Macht. Sie waren es, die die Geschichte in jedem Hafen des Mittelmeeres herumerzählten: „Wir haben Korn abgegeben, aber die Schiffe waren trotzdem voll!“ Das war die beste PR, die man haben konnte. Außerdem war noch das Prequel „Die Stillung des Sturms“. Vor der Korngeschichte ereignete sich nämlich eine zweite, viel wichtigere Geschichte, die ihn zum Patron der Seefahrt machte: Seeleute gerieten in einen schweren Sturm, und die Masten drohten zu brechen. In ihrer Not riefen sie Nikolaus an (obwohl sie ihn noch nie gesehen hatten, sie kannten nur seinen Ruf). Plötzlich erschien ein fremder Mann an Bord, packte die Taue, setzte die Segel richtig und befahl dem Wind, sich zu legen. Der Sturm hörte auf, und der Mann verschwand. Als die Seeleute später in der Kirche von Myra zum Dank beten wollten, erkannten sie den Bischof Nikolaus wieder: Er war der Mann, der an Bord erschienen war. Das war alles kein Zufall. Myra (und der Hafen Andriake) war ein wichtiger Zwischenstopp für Routen von Ägypten nach Rom und Byzanz. Nikolaus lebte und wirkte also direkt an einer der Hauptschlagadern der antiken Seefahrt. Seefahrer waren ein extrem abergläubisches Volk, weil sie ständig in Lebensgefahr schwebten. Dafür musste ein mächtiger Beschützer her, der die Elemente kontrollieren kann (Sturmlegende) und materielle Sicherheit garantiert (Kornlegende). Deshalb gilt er bis heute als Schutzpatron der Seefahrer.

Die Geschichte von den drei Knaben im Pökelfass ist tatsächlich der größte „Unsinn“ im gesamten Nikolaus-Zyklus – zumindest, wenn man nach historischer Logik sucht. Sie ist aber gleichzeitig das beste Beispiel dafür, wie mittelalterliche „Fake News“ funktionierten. Da es keine Kühlschränke gab, war das Einsalzen (trocken oder in Lake) seit der Antike die wichtigste Methode, um Fleisch und Fisch haltbar zu machen. Das römische Kochbuch von Apicius beschreibt Methoden, wie man Schweinefleisch in Salz einlegt. Technisch gesehen hätte ein krimineller Wirt in der Spätantike also durchaus Studenten in Salz einlegen können. Die Geschichte passt trotzdem absolut nicht zum historischen Bischof des 4. Jahrhunderts und taucht überhaupt erst fast 900 Jahre später auf!

Diese Legende ist ein klassischer Fall von „Stille Post“ mit Bildern. Historiker sind sich heute sicher, dass die Legende auf einem Missverständnis von Zeichnungen beruht: Alte Ikonen zeigten Nikolaus oft mit der „Mitgift-Legende“ (die Geschichte weiter oben mit den drei Töchtern). Um die drei Goldklumpen darzustellen, malte man oft drei Kreise oder Beutel zu seinen Füßen. Im Mittelalter (ca. 12. Jahrhundert), als die Geschichte der Töchter in manchen Regionen vergessen wurde, betrachteten die einfachen Leute die Bilder. Sie sahen den Bischof und drei runde „Dinger“ in einem Behälter. Die Neuinterpretation: „Was sind das für Köpfe da unten? Und warum stehen die in einem Bottich? Das müssen zerhackte Menschen sein, die er wieder zusammensetzt!“ So wurden aus drei Goldklumpen für die Jungfrauen plötzlich drei zerhackte Studenten (oder Kinder) im Pökelfass. Die Horrorgeschichte ist brutal und makaber (Kannibalismus!), und genau deshalb war sie im Mittelalter der Renner. In Zeiten von Hungersnöten war die Angst, dass Wirte „minderwertiges Fleisch“ (Katzen, Ratten oder eben Menschen) verkaufen, eine reale Urangst. Die Legende zeigte Nikolaus außerdem auch als Herrn über Leben und Tod (Auferstehung). Das war sozusagen „cooler“, als bloß Geld für eine Hochzeit zu spenden. Aber auch die Horrorgeschichte der drei auferweckten, eingepökelten Schüler (oder Kleriker) festigte seinen Ruf als Retter der Kinder und armen Leute.

Zentrale Motive aller drei Überlieferungen aber sind Güte und Großzügigkeit.

Warum wird der Nikolaustag am 6. Dezember gefeiert?

Der Nikolaustag wird traditionell an seinem Todestag begangen. Da er an einem 6. Dezember starb, wurde dieser Tag ihm im Kirchenkalender geweiht. In vielen Ländern ist oder war dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag, der aber im profanen Leben eine riesige Rolle spielt. Warum wird der Nikolaustag so intensiv gefeiert? Weil er den Beginn der weihnachtlichen Vorfreude markiert.

Interessanterweise war der Nikolaustag am 6. Dezember ursprünglich der eigentliche Tag der großen Bescherung. Dass der Heilige Nikolaus Geschenke bringt, war im Mittelalter der Höhepunkt für Kinder. Erst durch die Verschiebung der Gewichte im Zuge der Reformation (siehe unten) wanderte die Hauptbescherung auf den 24. oder 25. Dezember. Dennoch hält sich hartnäckig der Brauch, dass seit dem 6. Dezember (oder dessen Vorabend) kleine Geschenke verteilt werden.

Wie entstand aus dem Heiligen Nikolaus der Santa Claus?

Oft wird gefragt: Sind Nikolaus von Myra und der Weihnachtsmann dasselbe? Historisch gesehen: Ja und Nein. Der moderne Weihnachtsmann ist eine weltliche Weiterentwicklung. Niederländische Auswanderer brachten ihren „Sinterklaas“ (Sankt Nikolaus) im 17. Jahrhundert nach Nieuw Amsterdam (heute New York). Aus Sinterklaas verballhornte sich im Englischen der Name zu Santa Claus.

Während der Bischof Nikolaus in Ornat, Mitra und mit Stab dargestellt wird, entwickelte sich Santa Claus im 19. Jahrhundert (durch Gedichte wie „A Visit from St. Nicholas“ und Zeichnungen von Thomas Nast) zu dem rundlichen, gemütlichen Mann im roten Mantel, der am Nordpol lebt. Dieser Santa Claus kam dann als „Weihnachtsmann“ zurück nach Europa. Es ist also Unfug, Coca-Cola habe ihn erfunden; sie haben sein Bild nur gekapert. Der Heilige Nikolaus von Myra ist das historische Original, Santa Claus ist sein popkultureller „Nachfahre“.

Was hat Martin Luther mit dem Christkind und dem Nikolaus zu tun?

Die Reformation durch Martin Luther hatte einen massiven Einfluss auf das deutsche Weihnachtsfest. Luther lehnte die Heiligenverehrung ab. Ihm war es ein Dorn im Auge, dass ein Heiliger (Sankt Nikolaus) die Geschenke brachte und nicht Christus selbst. Um die Verehrung des Heiligen Nikolaus einzudämmen, propagierte Luther den „Heiligen Christ“ (später das Christkind) als Gabenbringer.

Er verlegte die Bescherung vom 6. Dezember auf den Heiligabend (24. Dezember), um den Fokus auf die Geburt Jesu zu lenken. Paradoxerweise übernahm das Christkind im Laufe der Zeit viele Attribute des Nikolaus (das heimliche Schenken). In katholischen Gegenden blieb der Nikolaus lange der Hauptschenker, während das Christkind eher protestantisch war. Heute hat sich das oft umgekehrt oder vermischt: Im Süden kommt das Christkind, im Norden eher der Weihnachtsmann, aber kommt der Nikolaus fast überall zusätzlich am 6. Dezember.

Krampus, Knecht Ruprecht und Belsnickel: Wer sind die Begleiter?

Der Nikolaus kommt selten allein. In den Legenden und Bräuchen verschiedener Regionen wird er von Figuren begleitet, die den strafenden Part übernehmen, während Nikolaus die Kinder belohnt.

Knecht Ruprecht: In Nord- und Mitteldeutschland ist er der bekannteste Begleiter. Er trägt meist eine dunkle Kutte, hat einen Bart und eine Rute dabei. Er fragt ab, ob die Kinder beten können.

Krampus: In Bayern, Österreich und Teilen Südtirols treibt der Krampus sein Unwesen. Er ist eine dämonische Schreckgestalt mit Hörnern und Fell, deren Ursprung wohl in vorchristlichen Winterbräuchen liegt. Während Nikolaus gütig ist, rasselt der Krampus mit Ketten.

Belsnickel: Im Südwesten Deutschlands (und durch Auswanderer in Pennsylvania bekannt geworden) gibt es den Belsnickel. Er ist oft in Pelze gekleidet und ist eine ambivalente Figur, die sowohl Nüsse schenkt als auch straft.

Vom Wintergeist zum Kettenhund: Die heidnischen Wurzeln der Rauhnächte

Um zu verstehen, warum der gütige Bischof oft von so dunklen Gestalten begleitet wird, müssen wir tiefer in die Geschichte zurückblicken – in eine Zeit lange vor der christlichen Missionierung. Die Tage rund um den Dezember waren für die Menschen schon immer eine mystische Zeit: die Raunächte.

Die ursprüngliche Funktion: Schutz statt Strafe

In den dunklen Winternächten, wenn der Wind heulte (die „Wilde Jagd“), glaubten die Menschen an Naturgeister, die Perchten. Wichtig ist hierbei: Diese wilden, furchterregenden Gestalten waren ursprünglich nicht per se böse.

  • Schiachperchten: Die hässlichen, lauten Masken dienten dazu, den Winter und böse Geister zu vertreiben. Sie waren also Schutzfiguren für Haus und Hof. Ihr Lärm und ihre Ruten sollten Fruchtbarkeit wecken und das Dunkle verjagen.

  • Schönperchten: Es gab auch lichte Gestalten, die Segen und Glück für das kommende Jahr brachten.

Diese Figuren waren Teil eines kosmischen Gleichgewichts, keine moralischen Richter über „artige Kinder“. Sie verkörperten die unbändige, aber notwendige Kraft der Natur.

Die christliche Umdeutung: Der Sieg des Bischofs über die Natur

Als das Christentum in Mitteleuropa Fuß fasste, stand die Kirche vor einem Problem: Die Menschen wollten ihre tief verwurzelten Winterbräuche nicht aufgeben. Da man die wilden Läufe nicht verbieten konnte, wurden sie assimiliert und umgedeutet.

Hier kommt der Geniestreich der Missionierung:

  1. Die Spaltung: Die positiven, schenkenden Eigenschaften der alten Wintergeister (wie Wotan oder Frau Perchta) wurden auf den Heiligen Nikolaus übertragen. Er repräsentiert das göttliche Licht, die Zivilisation und die kirchliche Ordnung.

  2. Die Dämonisierung: Die wilden, ungestümen Aspekte (Lärm, Fell, Rute) wurden abgespalten und zu den „dunklen Begleitern“ (Krampus, Knecht Ruprecht) geformt.

  3. Die Unterwerfung: Das entscheidende Bildsymbol ist die Kette. Der Krampus ist im Nikolaus-Brauch fast immer angekettet oder unterwirft sich dem Befehl des Bischofs.

Die Botschaft war klar: Das Christentum (Nikolaus) hat die alten, wilden heidnischen Kräfte (Krampus) besiegt und gezähmt. Aus dem einstigen Beschützer vor dem Winter wurde der strafende Teufel, der nur noch als Abschreckung dient, um die Überlegenheit des Glaubens zu demonstrieren.

Knecht Ruprecht ist ein milderes Beispiel dieser Umdeutung: Sein Name geht vermutlich auf „Hruodperaht“ (Ruhmglänzend) zurück – ein Beiname Wotans. Aus dem mächtigen Göttervater wurde im Laufe der Jahrhunderte ein „Knecht“, der dem Bischof die Taschen tragen muss. Die Rute, ursprünglich ein „Lebenszweig“ (Fruchtbarkeitssymbol, mit dem man Vieh und Menschen sanft schlug, um Vitalität zu übertragen), wurde zum reinen Züchtigungsinstrument uminterpretiert.

So gesehen ist der 6. Dezember einerseits ein jährliches Schauspiel, das den historischen Sieg der Kirche über die „alte Magie“ der Raunächte inszeniert. Andererseits ist diese Dualität, der gütige Bischof und der wilde Begleiter, wesentlich für die Dramaturgie des Brauchtums.

Stiefel raus: Wie sieht das Brauchtum heute aus?

Das zentrale Ritual findet in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember statt. Kinder stellen ihre Stiefel oder geputzte Schuhe vor die Tür. Die Erwartung: Wenn sie brav waren, füllt Nikolaus sie mit Süßigkeiten, Mandarinen, Lebkuchen und Nüssen. Die Nuss und der Apfel waren früher kostbare Gaben im Winter und Symbole für Fruchtbarkeit und Leben.

In manchen Regionen, wie im Rheinland, kennt man den Nikolaus auch unter dem Namen „Kleeschen“. Am Vorabend des 6. Dezember ziehen Kinder dort beim „Nikolaussingen“ (ähnlich wie am Dreikönigstag oder St. Martin) von Haus zu Haus. Auch in der Kirche von Myra (dem heutigen Demre) und in Bari finden große Festlichkeiten zu Ehren des Heiligen statt. Es ist ein Fest, das Familie, Teilen und Moral („Warst du brav?“) verbindet.

Warum wir ihn brauchen: Eine Deutung

Warum hält sich die Legende vom strafenden und schenkenden Nikolaus so hartnäckig? Warum fasziniert uns der Kontrast zwischen dem heiligen Bischof und dem dämonischen Krampus?

Aus psychoanalytischer Sicht inszeniert der Nikolaus-Brauch eine Spaltung des Über-Ichs. Das kleine Kind erlebt elterliche Autorität mal liebend und nährend, mal strafend und versagend. Der Nikolaus-Brauch lagert diese inneren Konflikte nach außen aus (Projektion).

Der Nikolaus (oder Sankt Nikolaus) ist das idealisierte gute Objekt: Er ist gütig und schenkt bedingungslos, solange man den minimalen sozialen Normen entspricht. Er verkörpert die Hoffnung auf Liebe und Versorgung.

Der Krampus oder Knecht Ruprecht ist das böse Objekt (der Schatten): Er verkörpert die Triebaggression und die Angst vor Bestrafung (symbolisiert durch die Rute oder den Sack).

Indem der Brauch diese Figuren trennt, wird die Ambivalenz für das Kind erträglich. Man muss den „guten Vater“ nicht hassen, wenn er straft, denn das Strafen übernimmt der „Andere“. Das „Buch der guten Taten“ ist dabei ein Bild des Gewissens. Es lehrt das Kind, dass sein Verhalten beobachtet wird (Internalisierung von Normen), bietet aber durch das anschließende Geschenk (die Nüsse, die Süßigkeit) die Erlösung an: Du wurdest gesehen, bewertet und für gut befunden.

Die Popularität des Nikolaus liegt also darin, dass er uns jedes Jahr am 6. Dezember die Möglichkeit gibt, moralische Konflikte spielerisch zu lösen.

Ergänzung: Warum wir Nüsse in den Stiefel stecken (die Symbolik)

Die Nuss im Sack: Gold, Gott und das verborgene Innere

Dass wir heute Nüsse (besonders Walnüsse), Mandarinen und Äpfel in den Stiefeln finden, wird oft als „gesunde Alternative“ zu Süßigkeiten abgetan. Doch historisch gesehen ist die Nuss das vielleicht wichtigste Symbol des Nikolaus-Brauchtums – und das aus drei völlig unterschiedlichen Gründen:

1. Die Erinnerung an die Gold-Legende

Die naheliegendste Erklärung verweist auf die Legende der drei Jungfrauen. Nikolaus warf Goldklumpen durch das Fenster. Da echte Goldklumpen für die Normalbevölkerung unerschwinglich waren, wurden sie im Brauchtum durch vergoldete Walnüsse ersetzt. Wenn Sie also eine goldene Nuss im Stiefel finden, halten Sie symbolisch das Lösegeld für die drei Töchter in der Hand.

2. „Nux est Christus“ – Die theologische Deutung

Viel tiefer geht die theologische Interpretation, die auf den Kirchenvater Augustinus zurückgeht. Für die Kirche war die Walnuss ein perfektes Abbild von Jesus Christus:

  • Die grüne, bittere Außenhülle (die beim Reifen abfällt) symbolisierte das Fleisch Christi und sein irdisches Leiden.

  • Die harte Holzschale stand für das Holz des Kreuzes.

  • Der süße, nahrhafte Kern im Inneren repräsentierte die göttliche Natur Jesu, die im menschlichen Körper verborgen lag.

Die Nuss zu knacken, war also eine spirituelle Übung: Man muss durch die harte Schale des Äußerlichen dringen, um zur göttlichen Wahrheit vorzustoßen.

3. Das psychologische Symbol: Harte Schale, weicher Kern

In den dunklen Wintermonaten und den Raunächten symbolisiert die verschlossene Nuss das Leben im Tod. Außen wirkt sie wie ein toter, hölzerner Gegenstand (wie die winterliche Natur), doch im Inneren bewahrt sie die konzentrierte Lebenskraft (Energie/Fett), die notwendig ist, um den Winter zu überstehen.

Psychologisch und pädagogisch lehrt die Nuss das Kind Geduld und Arbeit: Im Gegensatz zur Schokolade, die sofortigen Genuss bietet, muss  der Kern der Nuss erarbeitet (geknackt) werden. Es ist das Symbol dafür, dass der wahre Wert oft verborgen liegt und Anstrengung erfordert – eine Lektion, die der Nikolaus als Erziehungsfigur vermittelt.

Das Wichtigste auf einen Blick

Historie: Der Heilige Nikolaus basiert auf Nikolaus von Myra (Lykien, heutige Türkei) und Abt Nikolaus von Sion. Er lebte um 270 und 286 bis ca. 343.

Datum: Wir feiern den Nikolaustag am 6. Dezember, seinem Todestag.

Brauchtum: In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember stellen Kinder Stiefel raus.

Figur: Er ist ein Bischof mit Stab und Mitra, nicht der Weihnachtsmann mit Zipfelmütze.

Unterschied: Santa Claus entstand aus dem niederländischen Sinterklaas in den USA; das Christkind wurde von Martin Luther als Alternative zum Nikolaus etabliert.

Begleiter: Knecht Ruprecht, Krampus oder Belsnickel übernehmen den strafenden Part.

Schutzpatron: Er ist der Patron der Seefahrer, der Kinder und armen Menschen.

Reliquien: Seine Gebeine wurden 1087 nach Bari gebracht, wo die Verehrung bis heute zentriert ist.


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Der Dezember ist eine Zeit voller Magie, Lichter und uralter Traditionen. Doch kaum eine Figur ist so facettenreich wie der Mann, den wir am Anfang des Monats feiern. Viele Menschen verwechseln ihn heute mit dem Weihnachtsmann, doch der Nikolaustag hat eine eigene, viel ältere Geschichte.

Worum es geht:

·         warum wir den Nikolaustag am 6. Dezember begehen,

·         warum selbst eine einfache Nuss eine tiefe symbolische Bedeutung trägt,

·         eine Reise von der heutigen Türkei bis in die deutschen Wohnzimmer,

·         eine Entschlüsselung von Namen und Legenden und

·         einen tiefenpsychologischen Blick in die Seele dieses Brauchtums, und

·         wie sich die Figur vom Sankt Nikolaus zum modernen Weihnachtsmann entwickelte,

Tauchen wir ein in die Welt von Nikolaus von Myra. Wer war dieser Bischof wirklich, der Generationen von Kindern geprägt hat? Warum stellen wir Stiefel vor die Tür? Und was hat es mit den düsteren Begleitern auf sich?

Wer war der heilige Nikolaus von Myra wirklich?

Wenn wir heute an den Nikolaustag denken, haben wir meist das Bild eines gütigen älteren Mannes vor Augen. Doch die historische Basis ist komplex. Wer war Nikolaus von Myra? Historiker gehen davon aus, dass Nikolaus zwischen 270 und 286 in Patara geboren wurde, einer antiken Stadt in Lykien (in der heutigen Türkei). Er stammte aus einer wohlhabenden Familie. Schon früh zeigte sich seine Frömmigkeit. Sein Onkel, ebenfalls ein Bischof, erkannte das, und so wurde der junge Nikolaus bereits mit 19 Jahren zum Priester geweiht.

Als junger Mann verlor er seine Eltern an die Pest. Anstatt das Vermögen für sich zu behalten, verteilte er sein großes Erbe unter den armen Menschen. Das begründete seinen Ruf als Gabenbringer, der den Kindern besonders gütig gesinnt ist. Später wurde er zum Bischof von Myra ernannt. Doch sein Leben war nicht nur friedlich. Während der Christenverfolgung unter Kaiser Galerius (um 310) wurde er gefangen genommen und gefoltert. Er überlebte jedoch und nahm im Jahr 325 am berühmten Konzil von Nicäa teil. Er starb an einem 6. Dezember, vermutlich im Jahr 343, 350 oder 352.

Bischof von Myra oder Abt von Sion: Wer ist wer?

Es gibt wenige belegte Tatsachen über das exakte Leben, da sich im Laufe der Jahrhunderte zwei historische Figuren zu einer einzigen verschmolzen haben. Die Figur, die wir heute als den Heiligen Nikolaus verehren, ist eine Mischung aus dem Bischof Nikolaus von Myra (4. Jahrhundert) und dem Abt Nikolaus von Sion. Letzterer lebte im 6. Jahrhundert und war Bischof von Pinara sowie Vorsteher des Klosters Sion in der Nähe von Myra.

Diese Verschmelzung erklärt die Fülle an Wundern und Geschichten, die dem Heiligen zugeschrieben werden. Die Verehrung des Nikolaus breitete sich rasant aus. Ein entscheidendes Datum ist das Jahr 1087, als italienische Kaufleute (oder Piraten, je nach Sichtweise) die Gebeine des Heiligen aus der Kirche von Myra stahlen und ins italienische Bari brachten, angeblich, um sie vor der Eroberung durch die Seldschuken zu schützen. Nun ruhen sie noch heute in der Basilika San Nicola. Durch diesen „Umzug“ wurde die Verehrung in Westeuropa massiv verstärkt und Bari wurde zu einem der wichtigsten Pilgerzentren. (Reliquienraub war damals ein einträgliches altes Geschäft. Die Reliquien des Heiligen Markus wurden schon 828 von venezianischen Händlern aus Alexandria gestohlen und nach Venedig gebracht. Wer Reliquien besaß, erzielte beträchtliche Einnahmen von Pilgern.)

Welche Legenden und Bräuche prägen unser Bild vom Heiligen?

Die Legenden um Nikolaus sind zahlreich und bilden das Fundament für das heutige Brauchtum. Die bekannteste Geschichte erzählt von einem verarmten Vater und seinen drei Töchtern. Da der Vater keine Mitgift aufbringen konnte, drohte den jungen Frauen die Prostitution

Es handelt sich hierbei um die berühmteste und älteste Legende (die sogenannte „Mitgift-Legende“ oder „Legende von den drei Jungfrauen“), die über Nikolaus von Myra überliefert ist. Sie stammt aus der Legenda Aurea (Goldene Legende), einer Sammlung von Heiligenlegenden aus dem 13. Jahrhundert, die auf viel älteren griechischen Quellen (ab dem 6. Jh.) basiert. Dort wird explizit beschrieben, dass der verarmte Vater plante, seine Töchter der Prostitution preiszugeben, weil er keinen anderen Ausweg mehr sah, um das Überleben der Familie zu sichern. Um diese drastische Logik der Legende zu verstehen, muss man die gesellschaftlichen Strukturen der Spätantike betrachten: Eine standesgemäße Heirat war ohne Mitgift (Geld oder Güter, die die Braut in die Ehe einbringt) praktisch unmöglich. Ohne Mitgift gab es keinen Ehemann. Es gab auch kein Sozialsystem. Für unverehelichte Frauen gab es aber kaum Möglichkeiten, ehrbar Geld zu verdienen.

In der Heiligenbeschreibung wird die Situation, gemäß der beabsichtigten Botschaft, natürlich dramatisch zugespitzt: Der Vater sieht vor lauter Armut keinen anderen Ausweg, als seine Töchter der Sünde zu opfern, damit die Familie nicht verhungert. Genau hier setzt das Wunder an: Nikolaus erfährt von dieser Verzweiflungstat. Er wirft nachts heimlich Goldklumpen (oder Goldbeutel) durch das Fenster. Mit dem ersten Klumpen konnte die erste Tochter heiraten (die Mitgift war da). Das wiederholte er für die zweite und dritte Tochter. Er rettete sie also – in der Diktion der Legende – vor der »Sünde« und dem sozialen Abgrund und ermöglichte ihnen eine ehrbare Existenz durch Heirat.

Die Goldklumpen landeten, in der späteren Überlieferung, angeblich in Socken oder Schuhen, die zum Trocknen am Kamin hingen. Da fragte schon niemand mehr, ob man von der Straße aus durch Fenster, ohne die Hausbewohner zu wecken, Goldklumpen in unbeleuchtete Häuser werfen und dabei noch Socken und Schuhe treffen kann. Heilige können das. Aber: Wer trocknete im spätantiken Lykien eigentlich Socken an Kaminen? Legende hin, Logik her. Auf jeden Fall liegt in dieser Überlieferung der Ursprung für den Brauch, geputzte Schuhe vor die Tür oder den Kamin zu stellen.

Eine weitere bedeutende Erzählung ist das Kornwunder, bei dem Nikolaus eine Hungersnot in Myra abwendete, indem er Seeleute überredete, Getreide abzugeben, welches sich dann wundersam vermehrte. Der Witz an der Legende ist gerade: Er hat ihnen das Getreide nicht „abgeluchst“, sondern er hat ein ziemlich modernes magisches Win-Win-Szenario erschaffen. Die Legende besagt: Eine Flotte mit Kornschiffen aus Ägypten (dem damaligen Brotkorb Roms) habe in Myra Halt gemacht. Die Stadt hungerte. Nikolaus bat die Kapitäne, etwas Korn abzugeben. Die Kapitäne lehnen ab: „Das Korn ist für den Kaiser in Konstantinopel. Es ist genau abgewogen. Wenn etwas fehlt, wird uns der Kopf abgeschlagen.“ Nikolaus verspricht ihnen: „Ihr werdet keine Unannehmlichkeiten haben. Das Gewicht wird sich nicht ändern.“ Die Kapitäne vertrauen ihm zögernd und laden Korn ab, bis die Speicher von Myra voll sind. Als sie später in Konstantinopel ankommen und die Ladung vom kaiserlichen Zoll gewogen wird, fehlt nicht ein einziges Gramm. Die Ladung hat sich wundersam vermehrt.

Warum macht ihn das zum Patron der Seefahrer? Er hat die Seefahrer vor dem Zorn des Kaisers bewahrt (das Gewicht stimmte). Die Seeleute wurden zu Augenzeugen seiner Macht. Sie waren es, die die Geschichte in jedem Hafen des Mittelmeeres herumerzählten: „Wir haben Korn abgegeben, aber die Schiffe waren trotzdem voll!“ Das war die beste PR, die man haben konnte. Außerdem war noch das Prequel „Die Stillung des Sturms“. Vor der Korngeschichte ereignete sich nämlich eine zweite, viel wichtigere Geschichte, die ihn zum Patron der Seefahrt machte: Seeleute gerieten in einen schweren Sturm, und die Masten drohten zu brechen. In ihrer Not riefen sie Nikolaus an (obwohl sie ihn noch nie gesehen hatten, sie kannten nur seinen Ruf). Plötzlich erschien ein fremder Mann an Bord, packte die Taue, setzte die Segel richtig und befahl dem Wind, sich zu legen. Der Sturm hörte auf, und der Mann verschwand. Als die Seeleute später in der Kirche von Myra zum Dank beten wollten, erkannten sie den Bischof Nikolaus wieder: Er war der Mann, der an Bord erschienen war. Das war alles kein Zufall. Myra (und der Hafen Andriake) war ein wichtiger Zwischenstopp für Routen von Ägypten nach Rom und Byzanz. Nikolaus lebte und wirkte also direkt an einer der Hauptschlagadern der antiken Seefahrt. Seefahrer waren ein extrem abergläubisches Volk, weil sie ständig in Lebensgefahr schwebten. Dafür musste ein mächtiger Beschützer her, der die Elemente kontrollieren kann (Sturmlegende) und materielle Sicherheit garantiert (Kornlegende). Deshalb gilt er bis heute als Schutzpatron der Seefahrer.

Die Geschichte von den drei Knaben im Pökelfass ist tatsächlich der größte „Unsinn“ im gesamten Nikolaus-Zyklus – zumindest, wenn man nach historischer Logik sucht. Sie ist aber gleichzeitig das beste Beispiel dafür, wie mittelalterliche „Fake News“ funktionierten. Da es keine Kühlschränke gab, war das Einsalzen (trocken oder in Lake) seit der Antike die wichtigste Methode, um Fleisch und Fisch haltbar zu machen. Das römische Kochbuch von Apicius beschreibt Methoden, wie man Schweinefleisch in Salz einlegt. Technisch gesehen hätte ein krimineller Wirt in der Spätantike also durchaus Studenten in Salz einlegen können. Die Geschichte passt trotzdem absolut nicht zum historischen Bischof des 4. Jahrhunderts und taucht überhaupt erst fast 900 Jahre später auf!

Diese Legende ist ein klassischer Fall von „Stille Post“ mit Bildern. Historiker sind sich heute sicher, dass die Legende auf einem Missverständnis von Zeichnungen beruht: Alte Ikonen zeigten Nikolaus oft mit der „Mitgift-Legende“ (die Geschichte weiter oben mit den drei Töchtern). Um die drei Goldklumpen darzustellen, malte man oft drei Kreise oder Beutel zu seinen Füßen. Im Mittelalter (ca. 12. Jahrhundert), als die Geschichte der Töchter in manchen Regionen vergessen wurde, betrachteten die einfachen Leute die Bilder. Sie sahen den Bischof und drei runde „Dinger“ in einem Behälter. Die Neuinterpretation: „Was sind das für Köpfe da unten? Und warum stehen die in einem Bottich? Das müssen zerhackte Menschen sein, die er wieder zusammensetzt!“ So wurden aus drei Goldklumpen für die Jungfrauen plötzlich drei zerhackte Studenten (oder Kinder) im Pökelfass. Die Horrorgeschichte ist brutal und makaber (Kannibalismus!), und genau deshalb war sie im Mittelalter der Renner. In Zeiten von Hungersnöten war die Angst, dass Wirte „minderwertiges Fleisch“ (Katzen, Ratten oder eben Menschen) verkaufen, eine reale Urangst. Die Legende zeigte Nikolaus außerdem auch als Herrn über Leben und Tod (Auferstehung). Das war sozusagen „cooler“, als bloß Geld für eine Hochzeit zu spenden. Aber auch die Horrorgeschichte der drei auferweckten, eingepökelten Schüler (oder Kleriker) festigte seinen Ruf als Retter der Kinder und armen Leute.

Zentrale Motive aller drei Überlieferungen aber sind Güte und Großzügigkeit.

Warum wird der Nikolaustag am 6. Dezember gefeiert?

Der Nikolaustag wird traditionell an seinem Todestag begangen. Da er an einem 6. Dezember starb, wurde dieser Tag ihm im Kirchenkalender geweiht. In vielen Ländern ist oder war dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag, der aber im profanen Leben eine riesige Rolle spielt. Warum wird der Nikolaustag so intensiv gefeiert? Weil er den Beginn der weihnachtlichen Vorfreude markiert.

Interessanterweise war der Nikolaustag am 6. Dezember ursprünglich der eigentliche Tag der großen Bescherung. Dass der Heilige Nikolaus Geschenke bringt, war im Mittelalter der Höhepunkt für Kinder. Erst durch die Verschiebung der Gewichte im Zuge der Reformation (siehe unten) wanderte die Hauptbescherung auf den 24. oder 25. Dezember. Dennoch hält sich hartnäckig der Brauch, dass seit dem 6. Dezember (oder dessen Vorabend) kleine Geschenke verteilt werden.

Wie entstand aus dem Heiligen Nikolaus der Santa Claus?

Oft wird gefragt: Sind Nikolaus von Myra und der Weihnachtsmann dasselbe? Historisch gesehen: Ja und Nein. Der moderne Weihnachtsmann ist eine weltliche Weiterentwicklung. Niederländische Auswanderer brachten ihren „Sinterklaas“ (Sankt Nikolaus) im 17. Jahrhundert nach Nieuw Amsterdam (heute New York). Aus Sinterklaas verballhornte sich im Englischen der Name zu Santa Claus.

Während der Bischof Nikolaus in Ornat, Mitra und mit Stab dargestellt wird, entwickelte sich Santa Claus im 19. Jahrhundert (durch Gedichte wie „A Visit from St. Nicholas“ und Zeichnungen von Thomas Nast) zu dem rundlichen, gemütlichen Mann im roten Mantel, der am Nordpol lebt. Dieser Santa Claus kam dann als „Weihnachtsmann“ zurück nach Europa. Es ist also Unfug, Coca-Cola habe ihn erfunden; sie haben sein Bild nur gekapert. Der Heilige Nikolaus von Myra ist das historische Original, Santa Claus ist sein popkultureller „Nachfahre“.

Was hat Martin Luther mit dem Christkind und dem Nikolaus zu tun?

Die Reformation durch Martin Luther hatte einen massiven Einfluss auf das deutsche Weihnachtsfest. Luther lehnte die Heiligenverehrung ab. Ihm war es ein Dorn im Auge, dass ein Heiliger (Sankt Nikolaus) die Geschenke brachte und nicht Christus selbst. Um die Verehrung des Heiligen Nikolaus einzudämmen, propagierte Luther den „Heiligen Christ“ (später das Christkind) als Gabenbringer.

Er verlegte die Bescherung vom 6. Dezember auf den Heiligabend (24. Dezember), um den Fokus auf die Geburt Jesu zu lenken. Paradoxerweise übernahm das Christkind im Laufe der Zeit viele Attribute des Nikolaus (das heimliche Schenken). In katholischen Gegenden blieb der Nikolaus lange der Hauptschenker, während das Christkind eher protestantisch war. Heute hat sich das oft umgekehrt oder vermischt: Im Süden kommt das Christkind, im Norden eher der Weihnachtsmann, aber kommt der Nikolaus fast überall zusätzlich am 6. Dezember.

Krampus, Knecht Ruprecht und Belsnickel: Wer sind die Begleiter?

Der Nikolaus kommt selten allein. In den Legenden und Bräuchen verschiedener Regionen wird er von Figuren begleitet, die den strafenden Part übernehmen, während Nikolaus die Kinder belohnt.

Knecht Ruprecht: In Nord- und Mitteldeutschland ist er der bekannteste Begleiter. Er trägt meist eine dunkle Kutte, hat einen Bart und eine Rute dabei. Er fragt ab, ob die Kinder beten können.

Krampus: In Bayern, Österreich und Teilen Südtirols treibt der Krampus sein Unwesen. Er ist eine dämonische Schreckgestalt mit Hörnern und Fell, deren Ursprung wohl in vorchristlichen Winterbräuchen liegt. Während Nikolaus gütig ist, rasselt der Krampus mit Ketten.

Belsnickel: Im Südwesten Deutschlands (und durch Auswanderer in Pennsylvania bekannt geworden) gibt es den Belsnickel. Er ist oft in Pelze gekleidet und ist eine ambivalente Figur, die sowohl Nüsse schenkt als auch straft.

Vom Wintergeist zum Kettenhund: Die heidnischen Wurzeln der Rauhnächte

Um zu verstehen, warum der gütige Bischof oft von so dunklen Gestalten begleitet wird, müssen wir tiefer in die Geschichte zurückblicken – in eine Zeit lange vor der christlichen Missionierung. Die Tage rund um den Dezember waren für die Menschen schon immer eine mystische Zeit: die Raunächte.

Die ursprüngliche Funktion: Schutz statt Strafe

In den dunklen Winternächten, wenn der Wind heulte (die „Wilde Jagd“), glaubten die Menschen an Naturgeister, die Perchten. Wichtig ist hierbei: Diese wilden, furchterregenden Gestalten waren ursprünglich nicht per se böse.

  • Schiachperchten: Die hässlichen, lauten Masken dienten dazu, den Winter und böse Geister zu vertreiben. Sie waren also Schutzfiguren für Haus und Hof. Ihr Lärm und ihre Ruten sollten Fruchtbarkeit wecken und das Dunkle verjagen.

  • Schönperchten: Es gab auch lichte Gestalten, die Segen und Glück für das kommende Jahr brachten.

Diese Figuren waren Teil eines kosmischen Gleichgewichts, keine moralischen Richter über „artige Kinder“. Sie verkörperten die unbändige, aber notwendige Kraft der Natur.

Die christliche Umdeutung: Der Sieg des Bischofs über die Natur

Als das Christentum in Mitteleuropa Fuß fasste, stand die Kirche vor einem Problem: Die Menschen wollten ihre tief verwurzelten Winterbräuche nicht aufgeben. Da man die wilden Läufe nicht verbieten konnte, wurden sie assimiliert und umgedeutet.

Hier kommt der Geniestreich der Missionierung:

  1. Die Spaltung: Die positiven, schenkenden Eigenschaften der alten Wintergeister (wie Wotan oder Frau Perchta) wurden auf den Heiligen Nikolaus übertragen. Er repräsentiert das göttliche Licht, die Zivilisation und die kirchliche Ordnung.

  2. Die Dämonisierung: Die wilden, ungestümen Aspekte (Lärm, Fell, Rute) wurden abgespalten und zu den „dunklen Begleitern“ (Krampus, Knecht Ruprecht) geformt.

  3. Die Unterwerfung: Das entscheidende Bildsymbol ist die Kette. Der Krampus ist im Nikolaus-Brauch fast immer angekettet oder unterwirft sich dem Befehl des Bischofs.

Die Botschaft war klar: Das Christentum (Nikolaus) hat die alten, wilden heidnischen Kräfte (Krampus) besiegt und gezähmt. Aus dem einstigen Beschützer vor dem Winter wurde der strafende Teufel, der nur noch als Abschreckung dient, um die Überlegenheit des Glaubens zu demonstrieren.

Knecht Ruprecht ist ein milderes Beispiel dieser Umdeutung: Sein Name geht vermutlich auf „Hruodperaht“ (Ruhmglänzend) zurück – ein Beiname Wotans. Aus dem mächtigen Göttervater wurde im Laufe der Jahrhunderte ein „Knecht“, der dem Bischof die Taschen tragen muss. Die Rute, ursprünglich ein „Lebenszweig“ (Fruchtbarkeitssymbol, mit dem man Vieh und Menschen sanft schlug, um Vitalität zu übertragen), wurde zum reinen Züchtigungsinstrument uminterpretiert.

So gesehen ist der 6. Dezember einerseits ein jährliches Schauspiel, das den historischen Sieg der Kirche über die „alte Magie“ der Raunächte inszeniert. Andererseits ist diese Dualität, der gütige Bischof und der wilde Begleiter, wesentlich für die Dramaturgie des Brauchtums.

Stiefel raus: Wie sieht das Brauchtum heute aus?

Das zentrale Ritual findet in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember statt. Kinder stellen ihre Stiefel oder geputzte Schuhe vor die Tür. Die Erwartung: Wenn sie brav waren, füllt Nikolaus sie mit Süßigkeiten, Mandarinen, Lebkuchen und Nüssen. Die Nuss und der Apfel waren früher kostbare Gaben im Winter und Symbole für Fruchtbarkeit und Leben.

In manchen Regionen, wie im Rheinland, kennt man den Nikolaus auch unter dem Namen „Kleeschen“. Am Vorabend des 6. Dezember ziehen Kinder dort beim „Nikolaussingen“ (ähnlich wie am Dreikönigstag oder St. Martin) von Haus zu Haus. Auch in der Kirche von Myra (dem heutigen Demre) und in Bari finden große Festlichkeiten zu Ehren des Heiligen statt. Es ist ein Fest, das Familie, Teilen und Moral („Warst du brav?“) verbindet.

Warum wir ihn brauchen: Eine Deutung

Warum hält sich die Legende vom strafenden und schenkenden Nikolaus so hartnäckig? Warum fasziniert uns der Kontrast zwischen dem heiligen Bischof und dem dämonischen Krampus?

Aus psychoanalytischer Sicht inszeniert der Nikolaus-Brauch eine Spaltung des Über-Ichs. Das kleine Kind erlebt elterliche Autorität mal liebend und nährend, mal strafend und versagend. Der Nikolaus-Brauch lagert diese inneren Konflikte nach außen aus (Projektion).

Der Nikolaus (oder Sankt Nikolaus) ist das idealisierte gute Objekt: Er ist gütig und schenkt bedingungslos, solange man den minimalen sozialen Normen entspricht. Er verkörpert die Hoffnung auf Liebe und Versorgung.

Der Krampus oder Knecht Ruprecht ist das böse Objekt (der Schatten): Er verkörpert die Triebaggression und die Angst vor Bestrafung (symbolisiert durch die Rute oder den Sack).

Indem der Brauch diese Figuren trennt, wird die Ambivalenz für das Kind erträglich. Man muss den „guten Vater“ nicht hassen, wenn er straft, denn das Strafen übernimmt der „Andere“. Das „Buch der guten Taten“ ist dabei ein Bild des Gewissens. Es lehrt das Kind, dass sein Verhalten beobachtet wird (Internalisierung von Normen), bietet aber durch das anschließende Geschenk (die Nüsse, die Süßigkeit) die Erlösung an: Du wurdest gesehen, bewertet und für gut befunden.

Die Popularität des Nikolaus liegt also darin, dass er uns jedes Jahr am 6. Dezember die Möglichkeit gibt, moralische Konflikte spielerisch zu lösen.

Ergänzung: Warum wir Nüsse in den Stiefel stecken (die Symbolik)

Die Nuss im Sack: Gold, Gott und das verborgene Innere

Dass wir heute Nüsse (besonders Walnüsse), Mandarinen und Äpfel in den Stiefeln finden, wird oft als „gesunde Alternative“ zu Süßigkeiten abgetan. Doch historisch gesehen ist die Nuss das vielleicht wichtigste Symbol des Nikolaus-Brauchtums – und das aus drei völlig unterschiedlichen Gründen:

1. Die Erinnerung an die Gold-Legende

Die naheliegendste Erklärung verweist auf die Legende der drei Jungfrauen. Nikolaus warf Goldklumpen durch das Fenster. Da echte Goldklumpen für die Normalbevölkerung unerschwinglich waren, wurden sie im Brauchtum durch vergoldete Walnüsse ersetzt. Wenn Sie also eine goldene Nuss im Stiefel finden, halten Sie symbolisch das Lösegeld für die drei Töchter in der Hand.

2. „Nux est Christus“ – Die theologische Deutung

Viel tiefer geht die theologische Interpretation, die auf den Kirchenvater Augustinus zurückgeht. Für die Kirche war die Walnuss ein perfektes Abbild von Jesus Christus:

  • Die grüne, bittere Außenhülle (die beim Reifen abfällt) symbolisierte das Fleisch Christi und sein irdisches Leiden.

  • Die harte Holzschale stand für das Holz des Kreuzes.

  • Der süße, nahrhafte Kern im Inneren repräsentierte die göttliche Natur Jesu, die im menschlichen Körper verborgen lag.

Die Nuss zu knacken, war also eine spirituelle Übung: Man muss durch die harte Schale des Äußerlichen dringen, um zur göttlichen Wahrheit vorzustoßen.

3. Das psychologische Symbol: Harte Schale, weicher Kern

In den dunklen Wintermonaten und den Raunächten symbolisiert die verschlossene Nuss das Leben im Tod. Außen wirkt sie wie ein toter, hölzerner Gegenstand (wie die winterliche Natur), doch im Inneren bewahrt sie die konzentrierte Lebenskraft (Energie/Fett), die notwendig ist, um den Winter zu überstehen.

Psychologisch und pädagogisch lehrt die Nuss das Kind Geduld und Arbeit: Im Gegensatz zur Schokolade, die sofortigen Genuss bietet, muss  der Kern der Nuss erarbeitet (geknackt) werden. Es ist das Symbol dafür, dass der wahre Wert oft verborgen liegt und Anstrengung erfordert – eine Lektion, die der Nikolaus als Erziehungsfigur vermittelt.

Das Wichtigste auf einen Blick

Historie: Der Heilige Nikolaus basiert auf Nikolaus von Myra (Lykien, heutige Türkei) und Abt Nikolaus von Sion. Er lebte um 270 und 286 bis ca. 343.

Datum: Wir feiern den Nikolaustag am 6. Dezember, seinem Todestag.

Brauchtum: In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember stellen Kinder Stiefel raus.

Figur: Er ist ein Bischof mit Stab und Mitra, nicht der Weihnachtsmann mit Zipfelmütze.

Unterschied: Santa Claus entstand aus dem niederländischen Sinterklaas in den USA; das Christkind wurde von Martin Luther als Alternative zum Nikolaus etabliert.

Begleiter: Knecht Ruprecht, Krampus oder Belsnickel übernehmen den strafenden Part.

Schutzpatron: Er ist der Patron der Seefahrer, der Kinder und armen Menschen.

Reliquien: Seine Gebeine wurden 1087 nach Bari gebracht, wo die Verehrung bis heute zentriert ist.


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Nikolaustag: der Heilige Nikolaus von Myra, ein Brauch und die Bedeutung hinter dem 6. Dezember. Warum stellen wir einen Stiefel vor die Tür?

Wer war Nikolaus von Myra? Alles über den Nikolaustag am 6. Dezember, Sankt Nikolaus, den Weihnachtsmann und Nüsse im Stiefel

Der Dezember ist eine Zeit voller Magie, Lichter und uralter Traditionen. Doch kaum eine Figur ist so facettenreich wie der Mann, den wir am Anfang des Monats feiern. Viele Menschen verwechseln ihn heute mit dem Weihnachtsmann, doch der Nikolaustag hat eine eigene, viel ältere Geschichte.

Worum es geht:

·         warum wir den Nikolaustag am 6. Dezember begehen,

·         warum selbst eine einfache Nuss eine tiefe symbolische Bedeutung trägt,

·         eine Reise von der heutigen Türkei bis in die deutschen Wohnzimmer,

·         eine Entschlüsselung von Namen und Legenden und

·         einen tiefenpsychologischen Blick in die Seele dieses Brauchtums, und

·         wie sich die Figur vom Sankt Nikolaus zum modernen Weihnachtsmann entwickelte,

Tauchen wir ein in die Welt von Nikolaus von Myra. Wer war dieser Bischof wirklich, der Generationen von Kindern geprägt hat? Warum stellen wir Stiefel vor die Tür? Und was hat es mit den düsteren Begleitern auf sich?

Wer war der heilige Nikolaus von Myra wirklich?

Wenn wir heute an den Nikolaustag denken, haben wir meist das Bild eines gütigen älteren Mannes vor Augen. Doch die historische Basis ist komplex. Wer war Nikolaus von Myra? Historiker gehen davon aus, dass Nikolaus zwischen 270 und 286 in Patara geboren wurde, einer antiken Stadt in Lykien (in der heutigen Türkei). Er stammte aus einer wohlhabenden Familie. Schon früh zeigte sich seine Frömmigkeit. Sein Onkel, ebenfalls ein Bischof, erkannte das, und so wurde der junge Nikolaus bereits mit 19 Jahren zum Priester geweiht.

Als junger Mann verlor er seine Eltern an die Pest. Anstatt das Vermögen für sich zu behalten, verteilte er sein großes Erbe unter den armen Menschen. Das begründete seinen Ruf als Gabenbringer, der den Kindern besonders gütig gesinnt ist. Später wurde er zum Bischof von Myra ernannt. Doch sein Leben war nicht nur friedlich. Während der Christenverfolgung unter Kaiser Galerius (um 310) wurde er gefangen genommen und gefoltert. Er überlebte jedoch und nahm im Jahr 325 am berühmten Konzil von Nicäa teil. Er starb an einem 6. Dezember, vermutlich im Jahr 343, 350 oder 352.

Bischof von Myra oder Abt von Sion: Wer ist wer?

Es gibt wenige belegte Tatsachen über das exakte Leben, da sich im Laufe der Jahrhunderte zwei historische Figuren zu einer einzigen verschmolzen haben. Die Figur, die wir heute als den Heiligen Nikolaus verehren, ist eine Mischung aus dem Bischof Nikolaus von Myra (4. Jahrhundert) und dem Abt Nikolaus von Sion. Letzterer lebte im 6. Jahrhundert und war Bischof von Pinara sowie Vorsteher des Klosters Sion in der Nähe von Myra.

Diese Verschmelzung erklärt die Fülle an Wundern und Geschichten, die dem Heiligen zugeschrieben werden. Die Verehrung des Nikolaus breitete sich rasant aus. Ein entscheidendes Datum ist das Jahr 1087, als italienische Kaufleute (oder Piraten, je nach Sichtweise) die Gebeine des Heiligen aus der Kirche von Myra stahlen und ins italienische Bari brachten, angeblich, um sie vor der Eroberung durch die Seldschuken zu schützen. Nun ruhen sie noch heute in der Basilika San Nicola. Durch diesen „Umzug“ wurde die Verehrung in Westeuropa massiv verstärkt und Bari wurde zu einem der wichtigsten Pilgerzentren. (Reliquienraub war damals ein einträgliches altes Geschäft. Die Reliquien des Heiligen Markus wurden schon 828 von venezianischen Händlern aus Alexandria gestohlen und nach Venedig gebracht. Wer Reliquien besaß, erzielte beträchtliche Einnahmen von Pilgern.)

Welche Legenden und Bräuche prägen unser Bild vom Heiligen?

Die Legenden um Nikolaus sind zahlreich und bilden das Fundament für das heutige Brauchtum. Die bekannteste Geschichte erzählt von einem verarmten Vater und seinen drei Töchtern. Da der Vater keine Mitgift aufbringen konnte, drohte den jungen Frauen die Prostitution

Es handelt sich hierbei um die berühmteste und älteste Legende (die sogenannte „Mitgift-Legende“ oder „Legende von den drei Jungfrauen“), die über Nikolaus von Myra überliefert ist. Sie stammt aus der Legenda Aurea (Goldene Legende), einer Sammlung von Heiligenlegenden aus dem 13. Jahrhundert, die auf viel älteren griechischen Quellen (ab dem 6. Jh.) basiert. Dort wird explizit beschrieben, dass der verarmte Vater plante, seine Töchter der Prostitution preiszugeben, weil er keinen anderen Ausweg mehr sah, um das Überleben der Familie zu sichern. Um diese drastische Logik der Legende zu verstehen, muss man die gesellschaftlichen Strukturen der Spätantike betrachten: Eine standesgemäße Heirat war ohne Mitgift (Geld oder Güter, die die Braut in die Ehe einbringt) praktisch unmöglich. Ohne Mitgift gab es keinen Ehemann. Es gab auch kein Sozialsystem. Für unverehelichte Frauen gab es aber kaum Möglichkeiten, ehrbar Geld zu verdienen.

In der Heiligenbeschreibung wird die Situation, gemäß der beabsichtigten Botschaft, natürlich dramatisch zugespitzt: Der Vater sieht vor lauter Armut keinen anderen Ausweg, als seine Töchter der Sünde zu opfern, damit die Familie nicht verhungert. Genau hier setzt das Wunder an: Nikolaus erfährt von dieser Verzweiflungstat. Er wirft nachts heimlich Goldklumpen (oder Goldbeutel) durch das Fenster. Mit dem ersten Klumpen konnte die erste Tochter heiraten (die Mitgift war da). Das wiederholte er für die zweite und dritte Tochter. Er rettete sie also – in der Diktion der Legende – vor der »Sünde« und dem sozialen Abgrund und ermöglichte ihnen eine ehrbare Existenz durch Heirat.

Die Goldklumpen landeten, in der späteren Überlieferung, angeblich in Socken oder Schuhen, die zum Trocknen am Kamin hingen. Da fragte schon niemand mehr, ob man von der Straße aus durch Fenster, ohne die Hausbewohner zu wecken, Goldklumpen in unbeleuchtete Häuser werfen und dabei noch Socken und Schuhe treffen kann. Heilige können das. Aber: Wer trocknete im spätantiken Lykien eigentlich Socken an Kaminen? Legende hin, Logik her. Auf jeden Fall liegt in dieser Überlieferung der Ursprung für den Brauch, geputzte Schuhe vor die Tür oder den Kamin zu stellen.

Eine weitere bedeutende Erzählung ist das Kornwunder, bei dem Nikolaus eine Hungersnot in Myra abwendete, indem er Seeleute überredete, Getreide abzugeben, welches sich dann wundersam vermehrte. Der Witz an der Legende ist gerade: Er hat ihnen das Getreide nicht „abgeluchst“, sondern er hat ein ziemlich modernes magisches Win-Win-Szenario erschaffen. Die Legende besagt: Eine Flotte mit Kornschiffen aus Ägypten (dem damaligen Brotkorb Roms) habe in Myra Halt gemacht. Die Stadt hungerte. Nikolaus bat die Kapitäne, etwas Korn abzugeben. Die Kapitäne lehnen ab: „Das Korn ist für den Kaiser in Konstantinopel. Es ist genau abgewogen. Wenn etwas fehlt, wird uns der Kopf abgeschlagen.“ Nikolaus verspricht ihnen: „Ihr werdet keine Unannehmlichkeiten haben. Das Gewicht wird sich nicht ändern.“ Die Kapitäne vertrauen ihm zögernd und laden Korn ab, bis die Speicher von Myra voll sind. Als sie später in Konstantinopel ankommen und die Ladung vom kaiserlichen Zoll gewogen wird, fehlt nicht ein einziges Gramm. Die Ladung hat sich wundersam vermehrt.

Warum macht ihn das zum Patron der Seefahrer? Er hat die Seefahrer vor dem Zorn des Kaisers bewahrt (das Gewicht stimmte). Die Seeleute wurden zu Augenzeugen seiner Macht. Sie waren es, die die Geschichte in jedem Hafen des Mittelmeeres herumerzählten: „Wir haben Korn abgegeben, aber die Schiffe waren trotzdem voll!“ Das war die beste PR, die man haben konnte. Außerdem war noch das Prequel „Die Stillung des Sturms“. Vor der Korngeschichte ereignete sich nämlich eine zweite, viel wichtigere Geschichte, die ihn zum Patron der Seefahrt machte: Seeleute gerieten in einen schweren Sturm, und die Masten drohten zu brechen. In ihrer Not riefen sie Nikolaus an (obwohl sie ihn noch nie gesehen hatten, sie kannten nur seinen Ruf). Plötzlich erschien ein fremder Mann an Bord, packte die Taue, setzte die Segel richtig und befahl dem Wind, sich zu legen. Der Sturm hörte auf, und der Mann verschwand. Als die Seeleute später in der Kirche von Myra zum Dank beten wollten, erkannten sie den Bischof Nikolaus wieder: Er war der Mann, der an Bord erschienen war. Das war alles kein Zufall. Myra (und der Hafen Andriake) war ein wichtiger Zwischenstopp für Routen von Ägypten nach Rom und Byzanz. Nikolaus lebte und wirkte also direkt an einer der Hauptschlagadern der antiken Seefahrt. Seefahrer waren ein extrem abergläubisches Volk, weil sie ständig in Lebensgefahr schwebten. Dafür musste ein mächtiger Beschützer her, der die Elemente kontrollieren kann (Sturmlegende) und materielle Sicherheit garantiert (Kornlegende). Deshalb gilt er bis heute als Schutzpatron der Seefahrer.

Die Geschichte von den drei Knaben im Pökelfass ist tatsächlich der größte „Unsinn“ im gesamten Nikolaus-Zyklus – zumindest, wenn man nach historischer Logik sucht. Sie ist aber gleichzeitig das beste Beispiel dafür, wie mittelalterliche „Fake News“ funktionierten. Da es keine Kühlschränke gab, war das Einsalzen (trocken oder in Lake) seit der Antike die wichtigste Methode, um Fleisch und Fisch haltbar zu machen. Das römische Kochbuch von Apicius beschreibt Methoden, wie man Schweinefleisch in Salz einlegt. Technisch gesehen hätte ein krimineller Wirt in der Spätantike also durchaus Studenten in Salz einlegen können. Die Geschichte passt trotzdem absolut nicht zum historischen Bischof des 4. Jahrhunderts und taucht überhaupt erst fast 900 Jahre später auf!

Diese Legende ist ein klassischer Fall von „Stille Post“ mit Bildern. Historiker sind sich heute sicher, dass die Legende auf einem Missverständnis von Zeichnungen beruht: Alte Ikonen zeigten Nikolaus oft mit der „Mitgift-Legende“ (die Geschichte weiter oben mit den drei Töchtern). Um die drei Goldklumpen darzustellen, malte man oft drei Kreise oder Beutel zu seinen Füßen. Im Mittelalter (ca. 12. Jahrhundert), als die Geschichte der Töchter in manchen Regionen vergessen wurde, betrachteten die einfachen Leute die Bilder. Sie sahen den Bischof und drei runde „Dinger“ in einem Behälter. Die Neuinterpretation: „Was sind das für Köpfe da unten? Und warum stehen die in einem Bottich? Das müssen zerhackte Menschen sein, die er wieder zusammensetzt!“ So wurden aus drei Goldklumpen für die Jungfrauen plötzlich drei zerhackte Studenten (oder Kinder) im Pökelfass. Die Horrorgeschichte ist brutal und makaber (Kannibalismus!), und genau deshalb war sie im Mittelalter der Renner. In Zeiten von Hungersnöten war die Angst, dass Wirte „minderwertiges Fleisch“ (Katzen, Ratten oder eben Menschen) verkaufen, eine reale Urangst. Die Legende zeigte Nikolaus außerdem auch als Herrn über Leben und Tod (Auferstehung). Das war sozusagen „cooler“, als bloß Geld für eine Hochzeit zu spenden. Aber auch die Horrorgeschichte der drei auferweckten, eingepökelten Schüler (oder Kleriker) festigte seinen Ruf als Retter der Kinder und armen Leute.

Zentrale Motive aller drei Überlieferungen aber sind Güte und Großzügigkeit.

Warum wird der Nikolaustag am 6. Dezember gefeiert?

Der Nikolaustag wird traditionell an seinem Todestag begangen. Da er an einem 6. Dezember starb, wurde dieser Tag ihm im Kirchenkalender geweiht. In vielen Ländern ist oder war dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag, der aber im profanen Leben eine riesige Rolle spielt. Warum wird der Nikolaustag so intensiv gefeiert? Weil er den Beginn der weihnachtlichen Vorfreude markiert.

Interessanterweise war der Nikolaustag am 6. Dezember ursprünglich der eigentliche Tag der großen Bescherung. Dass der Heilige Nikolaus Geschenke bringt, war im Mittelalter der Höhepunkt für Kinder. Erst durch die Verschiebung der Gewichte im Zuge der Reformation (siehe unten) wanderte die Hauptbescherung auf den 24. oder 25. Dezember. Dennoch hält sich hartnäckig der Brauch, dass seit dem 6. Dezember (oder dessen Vorabend) kleine Geschenke verteilt werden.

Wie entstand aus dem Heiligen Nikolaus der Santa Claus?

Oft wird gefragt: Sind Nikolaus von Myra und der Weihnachtsmann dasselbe? Historisch gesehen: Ja und Nein. Der moderne Weihnachtsmann ist eine weltliche Weiterentwicklung. Niederländische Auswanderer brachten ihren „Sinterklaas“ (Sankt Nikolaus) im 17. Jahrhundert nach Nieuw Amsterdam (heute New York). Aus Sinterklaas verballhornte sich im Englischen der Name zu Santa Claus.

Während der Bischof Nikolaus in Ornat, Mitra und mit Stab dargestellt wird, entwickelte sich Santa Claus im 19. Jahrhundert (durch Gedichte wie „A Visit from St. Nicholas“ und Zeichnungen von Thomas Nast) zu dem rundlichen, gemütlichen Mann im roten Mantel, der am Nordpol lebt. Dieser Santa Claus kam dann als „Weihnachtsmann“ zurück nach Europa. Es ist also Unfug, Coca-Cola habe ihn erfunden; sie haben sein Bild nur gekapert. Der Heilige Nikolaus von Myra ist das historische Original, Santa Claus ist sein popkultureller „Nachfahre“.

Was hat Martin Luther mit dem Christkind und dem Nikolaus zu tun?

Die Reformation durch Martin Luther hatte einen massiven Einfluss auf das deutsche Weihnachtsfest. Luther lehnte die Heiligenverehrung ab. Ihm war es ein Dorn im Auge, dass ein Heiliger (Sankt Nikolaus) die Geschenke brachte und nicht Christus selbst. Um die Verehrung des Heiligen Nikolaus einzudämmen, propagierte Luther den „Heiligen Christ“ (später das Christkind) als Gabenbringer.

Er verlegte die Bescherung vom 6. Dezember auf den Heiligabend (24. Dezember), um den Fokus auf die Geburt Jesu zu lenken. Paradoxerweise übernahm das Christkind im Laufe der Zeit viele Attribute des Nikolaus (das heimliche Schenken). In katholischen Gegenden blieb der Nikolaus lange der Hauptschenker, während das Christkind eher protestantisch war. Heute hat sich das oft umgekehrt oder vermischt: Im Süden kommt das Christkind, im Norden eher der Weihnachtsmann, aber kommt der Nikolaus fast überall zusätzlich am 6. Dezember.

Krampus, Knecht Ruprecht und Belsnickel: Wer sind die Begleiter?

Der Nikolaus kommt selten allein. In den Legenden und Bräuchen verschiedener Regionen wird er von Figuren begleitet, die den strafenden Part übernehmen, während Nikolaus die Kinder belohnt.

Knecht Ruprecht: In Nord- und Mitteldeutschland ist er der bekannteste Begleiter. Er trägt meist eine dunkle Kutte, hat einen Bart und eine Rute dabei. Er fragt ab, ob die Kinder beten können.

Krampus: In Bayern, Österreich und Teilen Südtirols treibt der Krampus sein Unwesen. Er ist eine dämonische Schreckgestalt mit Hörnern und Fell, deren Ursprung wohl in vorchristlichen Winterbräuchen liegt. Während Nikolaus gütig ist, rasselt der Krampus mit Ketten.

Belsnickel: Im Südwesten Deutschlands (und durch Auswanderer in Pennsylvania bekannt geworden) gibt es den Belsnickel. Er ist oft in Pelze gekleidet und ist eine ambivalente Figur, die sowohl Nüsse schenkt als auch straft.

Vom Wintergeist zum Kettenhund: Die heidnischen Wurzeln der Rauhnächte

Um zu verstehen, warum der gütige Bischof oft von so dunklen Gestalten begleitet wird, müssen wir tiefer in die Geschichte zurückblicken – in eine Zeit lange vor der christlichen Missionierung. Die Tage rund um den Dezember waren für die Menschen schon immer eine mystische Zeit: die Raunächte.

Die ursprüngliche Funktion: Schutz statt Strafe

In den dunklen Winternächten, wenn der Wind heulte (die „Wilde Jagd“), glaubten die Menschen an Naturgeister, die Perchten. Wichtig ist hierbei: Diese wilden, furchterregenden Gestalten waren ursprünglich nicht per se böse.

  • Schiachperchten: Die hässlichen, lauten Masken dienten dazu, den Winter und böse Geister zu vertreiben. Sie waren also Schutzfiguren für Haus und Hof. Ihr Lärm und ihre Ruten sollten Fruchtbarkeit wecken und das Dunkle verjagen.

  • Schönperchten: Es gab auch lichte Gestalten, die Segen und Glück für das kommende Jahr brachten.

Diese Figuren waren Teil eines kosmischen Gleichgewichts, keine moralischen Richter über „artige Kinder“. Sie verkörperten die unbändige, aber notwendige Kraft der Natur.

Die christliche Umdeutung: Der Sieg des Bischofs über die Natur

Als das Christentum in Mitteleuropa Fuß fasste, stand die Kirche vor einem Problem: Die Menschen wollten ihre tief verwurzelten Winterbräuche nicht aufgeben. Da man die wilden Läufe nicht verbieten konnte, wurden sie assimiliert und umgedeutet.

Hier kommt der Geniestreich der Missionierung:

  1. Die Spaltung: Die positiven, schenkenden Eigenschaften der alten Wintergeister (wie Wotan oder Frau Perchta) wurden auf den Heiligen Nikolaus übertragen. Er repräsentiert das göttliche Licht, die Zivilisation und die kirchliche Ordnung.

  2. Die Dämonisierung: Die wilden, ungestümen Aspekte (Lärm, Fell, Rute) wurden abgespalten und zu den „dunklen Begleitern“ (Krampus, Knecht Ruprecht) geformt.

  3. Die Unterwerfung: Das entscheidende Bildsymbol ist die Kette. Der Krampus ist im Nikolaus-Brauch fast immer angekettet oder unterwirft sich dem Befehl des Bischofs.

Die Botschaft war klar: Das Christentum (Nikolaus) hat die alten, wilden heidnischen Kräfte (Krampus) besiegt und gezähmt. Aus dem einstigen Beschützer vor dem Winter wurde der strafende Teufel, der nur noch als Abschreckung dient, um die Überlegenheit des Glaubens zu demonstrieren.

Knecht Ruprecht ist ein milderes Beispiel dieser Umdeutung: Sein Name geht vermutlich auf „Hruodperaht“ (Ruhmglänzend) zurück – ein Beiname Wotans. Aus dem mächtigen Göttervater wurde im Laufe der Jahrhunderte ein „Knecht“, der dem Bischof die Taschen tragen muss. Die Rute, ursprünglich ein „Lebenszweig“ (Fruchtbarkeitssymbol, mit dem man Vieh und Menschen sanft schlug, um Vitalität zu übertragen), wurde zum reinen Züchtigungsinstrument uminterpretiert.

So gesehen ist der 6. Dezember einerseits ein jährliches Schauspiel, das den historischen Sieg der Kirche über die „alte Magie“ der Raunächte inszeniert. Andererseits ist diese Dualität, der gütige Bischof und der wilde Begleiter, wesentlich für die Dramaturgie des Brauchtums.

Stiefel raus: Wie sieht das Brauchtum heute aus?

Das zentrale Ritual findet in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember statt. Kinder stellen ihre Stiefel oder geputzte Schuhe vor die Tür. Die Erwartung: Wenn sie brav waren, füllt Nikolaus sie mit Süßigkeiten, Mandarinen, Lebkuchen und Nüssen. Die Nuss und der Apfel waren früher kostbare Gaben im Winter und Symbole für Fruchtbarkeit und Leben.

In manchen Regionen, wie im Rheinland, kennt man den Nikolaus auch unter dem Namen „Kleeschen“. Am Vorabend des 6. Dezember ziehen Kinder dort beim „Nikolaussingen“ (ähnlich wie am Dreikönigstag oder St. Martin) von Haus zu Haus. Auch in der Kirche von Myra (dem heutigen Demre) und in Bari finden große Festlichkeiten zu Ehren des Heiligen statt. Es ist ein Fest, das Familie, Teilen und Moral („Warst du brav?“) verbindet.

Warum wir ihn brauchen: Eine Deutung

Warum hält sich die Legende vom strafenden und schenkenden Nikolaus so hartnäckig? Warum fasziniert uns der Kontrast zwischen dem heiligen Bischof und dem dämonischen Krampus?

Aus psychoanalytischer Sicht inszeniert der Nikolaus-Brauch eine Spaltung des Über-Ichs. Das kleine Kind erlebt elterliche Autorität mal liebend und nährend, mal strafend und versagend. Der Nikolaus-Brauch lagert diese inneren Konflikte nach außen aus (Projektion).

Der Nikolaus (oder Sankt Nikolaus) ist das idealisierte gute Objekt: Er ist gütig und schenkt bedingungslos, solange man den minimalen sozialen Normen entspricht. Er verkörpert die Hoffnung auf Liebe und Versorgung.

Der Krampus oder Knecht Ruprecht ist das böse Objekt (der Schatten): Er verkörpert die Triebaggression und die Angst vor Bestrafung (symbolisiert durch die Rute oder den Sack).

Indem der Brauch diese Figuren trennt, wird die Ambivalenz für das Kind erträglich. Man muss den „guten Vater“ nicht hassen, wenn er straft, denn das Strafen übernimmt der „Andere“. Das „Buch der guten Taten“ ist dabei ein Bild des Gewissens. Es lehrt das Kind, dass sein Verhalten beobachtet wird (Internalisierung von Normen), bietet aber durch das anschließende Geschenk (die Nüsse, die Süßigkeit) die Erlösung an: Du wurdest gesehen, bewertet und für gut befunden.

Die Popularität des Nikolaus liegt also darin, dass er uns jedes Jahr am 6. Dezember die Möglichkeit gibt, moralische Konflikte spielerisch zu lösen.

Ergänzung: Warum wir Nüsse in den Stiefel stecken (die Symbolik)

Die Nuss im Sack: Gold, Gott und das verborgene Innere

Dass wir heute Nüsse (besonders Walnüsse), Mandarinen und Äpfel in den Stiefeln finden, wird oft als „gesunde Alternative“ zu Süßigkeiten abgetan. Doch historisch gesehen ist die Nuss das vielleicht wichtigste Symbol des Nikolaus-Brauchtums – und das aus drei völlig unterschiedlichen Gründen:

1. Die Erinnerung an die Gold-Legende

Die naheliegendste Erklärung verweist auf die Legende der drei Jungfrauen. Nikolaus warf Goldklumpen durch das Fenster. Da echte Goldklumpen für die Normalbevölkerung unerschwinglich waren, wurden sie im Brauchtum durch vergoldete Walnüsse ersetzt. Wenn Sie also eine goldene Nuss im Stiefel finden, halten Sie symbolisch das Lösegeld für die drei Töchter in der Hand.

2. „Nux est Christus“ – Die theologische Deutung

Viel tiefer geht die theologische Interpretation, die auf den Kirchenvater Augustinus zurückgeht. Für die Kirche war die Walnuss ein perfektes Abbild von Jesus Christus:

  • Die grüne, bittere Außenhülle (die beim Reifen abfällt) symbolisierte das Fleisch Christi und sein irdisches Leiden.

  • Die harte Holzschale stand für das Holz des Kreuzes.

  • Der süße, nahrhafte Kern im Inneren repräsentierte die göttliche Natur Jesu, die im menschlichen Körper verborgen lag.

Die Nuss zu knacken, war also eine spirituelle Übung: Man muss durch die harte Schale des Äußerlichen dringen, um zur göttlichen Wahrheit vorzustoßen.

3. Das psychologische Symbol: Harte Schale, weicher Kern

In den dunklen Wintermonaten und den Raunächten symbolisiert die verschlossene Nuss das Leben im Tod. Außen wirkt sie wie ein toter, hölzerner Gegenstand (wie die winterliche Natur), doch im Inneren bewahrt sie die konzentrierte Lebenskraft (Energie/Fett), die notwendig ist, um den Winter zu überstehen.

Psychologisch und pädagogisch lehrt die Nuss das Kind Geduld und Arbeit: Im Gegensatz zur Schokolade, die sofortigen Genuss bietet, muss  der Kern der Nuss erarbeitet (geknackt) werden. Es ist das Symbol dafür, dass der wahre Wert oft verborgen liegt und Anstrengung erfordert – eine Lektion, die der Nikolaus als Erziehungsfigur vermittelt.

Das Wichtigste auf einen Blick

Historie: Der Heilige Nikolaus basiert auf Nikolaus von Myra (Lykien, heutige Türkei) und Abt Nikolaus von Sion. Er lebte um 270 und 286 bis ca. 343.

Datum: Wir feiern den Nikolaustag am 6. Dezember, seinem Todestag.

Brauchtum: In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember stellen Kinder Stiefel raus.

Figur: Er ist ein Bischof mit Stab und Mitra, nicht der Weihnachtsmann mit Zipfelmütze.

Unterschied: Santa Claus entstand aus dem niederländischen Sinterklaas in den USA; das Christkind wurde von Martin Luther als Alternative zum Nikolaus etabliert.

Begleiter: Knecht Ruprecht, Krampus oder Belsnickel übernehmen den strafenden Part.

Schutzpatron: Er ist der Patron der Seefahrer, der Kinder und armen Menschen.

Reliquien: Seine Gebeine wurden 1087 nach Bari gebracht, wo die Verehrung bis heute zentriert ist.


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