AUDHS: Autismus und ADHS – Eine komplexe Kombination
AUDHS: Autismus und ADHS – Eine komplexe Kombination
AUDHS: Autismus und ADHS – Eine komplexe Kombination
Veröffentlicht am:
25.11.2025


DESCRIPTION:
AUDHS: Autismus und ADHS gleichzeitig – eine komplexe Kombination. Symptome, Diagnose und Umgang mit dieser besonderen Konstellation.
AUDHS: Wenn Autismus und ADHS aufeinandertreffen – der stille Kampf im Kopf
In der modernen Psychologie erleben wir einen Paradigmenwechsel: Immer häufiger wird erkannt, dass ADHS und Autismus nicht nur getrennt voneinander existieren, sondern auch gemeinsam auftreten können. Dieses Phänomen, von der Community oft als AUDHS bezeichnet, stellt Betroffene vor einzigartige Herausforderungen.
Worum es geht:
· warum diese Kombination so oft übersehen wird,
· wie sich die widersprüchlichen Bedürfnisse im Alltag äußern, und,
· warum eine präzise Diagnose der Schlüssel zu mehr Selbstakzeptanz und Lebensqualität ist.
Es geht um die komplexe Überschneidung dieser neurobiologischen Besonderheiten und den Weg zu mehr Klarheit.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff AUDHS?
Der Begriff AUDHS ist keine offizielle medizinische Bezeichnung aus dem ICD-10 oder DSM-5, sondern eine Wortschöpfung der Neurodiversitäts-Community. Er beschreibt das gleichzeitige Vorliegen von Autismus (Autismus-Spektrum-Störung, ASS) und einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Lange Zeit galt in der klinischen Praxis die Lehrmeinung, dass man diese beiden Diagnosen nicht gleichzeitig stellen könne. Erst mit der Aktualisierung der Diagnosehandbücher (wie dem DSM-5 im Jahr 2013) wurde offiziell anerkannt, dass ADHS und Autismus gemeinsam existieren können – eine sogenannte Comorbidity.
Für Betroffene mit AUDHS bedeutet dies oft ein Leben voller innerer Widersprüche. Während das eine Störungsbild nach Neuheit und Stimulation schreit (ADHS), sehnt sich der andere Teil nach Routine, Vorhersehbarkeit und Ruhe (Autismus). Es ist, als würden Gaspedal und Bremse gleichzeitig betätigt. Diese Überschneidung führt dazu, dass sich die Symptome gegenseitig maskieren können, was das Erkennen der Neurodivergenz für Außenstehende und sogar für Fachkräfte extrem erschwert.
Warum wurde die Kombination von ADHS und Autismus so lange übersehen?
Historisch gesehen neigten Diagnostiker dazu, sich auf das offensichtlichste Verhalten zu konzentrieren. Ein Kind, das nicht stillsitzen konnte, erhielt eine ADHS-Diagnose. Ein Kind, das Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion hatte, wurde als Autist eingestuft. Die Möglichkeit, dass beide Störungsbilder präsent sein könnten, wurde durch veraltete Diagnosekriterien oft ausgeschlossen. Viele Erwachsene, die heute die Praxis aufsuchen, haben daher Jahrzehnte im Ungewissen verbracht.
Zudem ist das Erscheinungsbild von AUDHS oft untypisch. Die Impulsivität des ADHS kann die soziale Zurückhaltung des Autismus überdecken, sodass der Mensch extrovertierter wirkt als ein „typischer“ Autist. Umgekehrt kann das Bedürfnis nach Struktur bei Autismus das Chaos und die Desorganisation des ADHS teilweise kompensieren. Diese gegenseitige Maskierung führt dazu, dass viele neurodivergente Betroffene durch das Raster fallen und erst im Erwachsenenalter, oft nach einem Burn-out, die richtige Beurteilung erhalten.
Welche Symptome von ADHS stehen im Konflikt mit Autismus?
Das Kernmerkmal von AUDHS ist der interne Konflikt. Ein klassisches Beispiel ist das Bedürfnis nach Routine. Ein autistischer Mensch benötigt oft feste Abläufe, um sich sicher zu fühlen und Reizüberflutung zu vermeiden. Doch das Gehirn eines Betroffenen mit ADHS langweilt sich schnell bei Wiederholungen und sucht nach dem Dopamin-Kick durch Neues. Das Ergebnis ist oft ein quälender Kreislauf: Man erstellt Pläne, um Struktur zu schaffen, bricht diese aber fast sofort wieder, weil sie sich wie ein Gefängnis anfühlen.
Auch im Bereich der Spezialinteressen zeigt sich dieser Konflikt. Autisten sind bekannt für tiefgehende, lang anhaltende Interessen (Monotropismus). Kommt jedoch ADHS hinzu, kann die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sein. Man stürzt sich mit hyperfokussierter Leidenschaft in ein neues Hobby, kauft die gesamte Ausrüstung, nur um das Interesse zwei Wochen später schlagartig zu verlieren. Dieser Wechsel zwischen intensiver Begeisterung und plötzlicher Ablenkbarkeit ist für Betroffene oft frustrierend und schwer zu erklären.
Wie beeinflussen sich die neurobiologischen Grundlagen gegenseitig?
ADHS und ASS sind beide neurologische Entwicklungsstörungen, die tief in der Art und Weise verwurzelt sind, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Bei ADHS liegt oft ein Mangel an verfügbarem Dopamin im präfrontalen Kortex vor, was zu Problemen bei der Exekutivfunktion (Planung, Impulskontrolle) führt. Autismus hingegen wird oft mit einer anderen Vernetzung im Gehirn assoziiert, die zu einer intensiveren Wahrnehmung von sensorischen Reizen und Details führt.
Wenn diese beiden Profile zusammentreffen, entsteht eine einzigartige neurobiologische Dynamik. Die exekutiven Funktionsstörungen des ADHS (wie Vergesslichkeit) können bei einem Autisten enorme Ängste auslösen, da Fehler oder Unvorhersehbarkeiten als bedrohlich empfunden werden. Gleichzeitig kann die Hyperaktivität des ADHS dazu führen, dass sich der Mensch ständig in Situationen begibt, die seine sensorischen Grenzen überschreiten, was zu einer chronischen Erschöpfung führt. Es ist ein ständiges Navigieren zwischen Unterstimulation (Langeweile) und Überstimulation (Overload).
Welche Rolle spielt „Masking“ bei der Diagnose?
Masking (oder Kompensation) ist einer der Hauptgründe für späte Diagnosen. Neurodivergente Betroffene, insbesondere Frauen und „hochfunktionale“ Betroffene, lernen früh, ihre Symptome zu unterdrücken, um in einer neurotypischen Welt nicht aufzufallen. Bei AUDHS ist das Masking besonders komplex, da die Symptome sich teilweise gegenseitig beeinflussen und neutralisieren.
Zum Beispiel könnte ein Betroffener ihre ADHS-bedingte Unpünktlichkeit durch extreme autistische Kontrolle und Angst kompensieren und so überpünktlich erscheinen. Oder sie nutzt ihre autistischen Analysefähigkeiten, um soziale Skripte zu lernen, wodurch sie ihre sozialen Unsicherheiten verbirgt. Dieses ständige Schauspiel kostet jedoch enorme kognitive Energie. Nach außen wirkt die Menschheit funktional, aber innerlich steht sie oft kurz vor dem Zusammenbruch. Wenn Diagnostiker nur das Verhalten im Praxisraum beobachten und nicht die innere Anstrengung hinterfragen, wird die Neurodivergenz oft übersehen.
Warum kommt es häufig zu Fehldiagnosen wie Depression oder Borderline?
Bevor die korrekte Diagnose AUDHS gestellt wird, haben viele Patienten eine Odyssee an Fehldiagnosen hinter sich. Häufig werden Angststörungen oder Depressionen diagnostiziert. Diese sind jedoch oft Sekundärerkrankungen, die aus der chronischen Überforderung resultieren, als neurodivergenter Mensch in einer nicht angepassten Welt zu leben. Die emotionale Dysregulation bei AUDHS – schnelle Stimmungswechsel, Wutausbrüche oder Tränen bei Überforderung – wird zudem oft fälschlicherweise als Borderline-Persönlichkeitsstörung oder bipolare Störung interpretiert.
Der Unterschied ist entscheidend: Bei AUDHS sind die Stimmungsschwankungen meist reaktiv auf die Umgebung (z. B. sensorischen Stress oder Planänderungen) und von kürzerer Dauer als bei affektiven Störungen. Auch hochsensible Betroffene werden oft in diese Schublade gesteckt, ohne dass geprüft wird, ob eigentlich eine unerkannte Autismus-Spektrum-Störung oder ADHS vorliegt. Eine reine Behandlung der „Depression“ mit Medikamenten oder Standardtherapie greift oft zu kurz, da die zugrundeliegende neurologische Struktur nicht berücksichtigt wird.
Wie sieht eine differenzierte Diagnostik bei Erwachsenen aus?
Eine offizielle Diagnose im Erwachsenenalter zu erhalten, ist oft ein langer Weg. Die Diagnosekriterien für ADHS und Autismus sind immer noch stark auf Kinder ausgerichtet. Ein qualifizierter Diagnostiker muss daher tief graben und nicht nur aktuelle Symptome, sondern die gesamte Lebensgeschichte betrachten. Bei der Diagnostik von AUDHS ist es wichtig, die Nuancen zu erkennen: Wie sahen die Probleme in der Kindheit aus? Wie wurden sie kompensiert?
Es reicht nicht, Fragebögen auszufüllen. Es bedarf klinischer Interviews, die gezielt nach den inneren Erlebensweisen fragen. Zum Beispiel: „Sind Sie organisiert, weil es Ihnen leicht fällt, oder weil Sie Panik bekommen, wenn Sie es nicht sind?“ Hier zeigt sich oft der Unterschied zwischen einem neurotypischen Verhalten und einem Kompensationsmechanismus. Um beiden Diagnosen gerecht zu werden, müssen Fachleute verstehen, dass das Fehlen bestimmter klassischer Symptome von ASS (wie Blickkontaktvermeidung) durch erlerntes Verhalten maskiert sein kann, während ADHS-Symptome vielleicht weniger körperlich, sondern eher als innere Unruhe auftreten.
Was passiert, wenn nur ADHS oder nur Autismus diagnostiziert wird?
Wird nur eine der beiden Konditionen erkannt, kann die Behandlung paradoxerweise neue Probleme aufdecken. Ein häufiges Phänomen ist, dass Patienten eine ADHS-Diagnose erhalten und mit Stimulanzien (wie Medikinet oder Elvanse) behandelt werden. Wenn die Medikamente wirken, lassen das innere Chaos und der „Nebel“ des ADHS nach. Plötzlich treten jedoch die autistischen Züge stärker hervor.
Ohne den ständigen Antrieb des ADHS bemerkt der Patient vielleicht plötzlich, wie sehr ihn Geräusche stören, wie schwer ihm Small Talk fällt oder wie sehr er Veränderungen hasst. Die Autistin oder der Autist im Inneren wird „sichtbar“. Dies kann verwirrend sein („Macht das Medikament mich autistischer?“). Tatsächlich ist es oft ein Unmasking: Das ADHS hat den Autismus bisher überlagert. Werden diese Zusammenhänge nicht erkannt, kann dies zu Behandlungsabbrüchen oder Verunsicherung führen. Daher ist es essenziell, Autismus und ADHS als mögliches Gesamtpaket im Blick zu haben.
Wie können Betroffene mit AUDHS ihren Alltag bewältigen?
Der Schlüssel liegt nicht darin, sich zu „heilen“, sondern darin, das Leben an die eigene Neurodiversität anzupassen. Für Betroffene mit AUDHS bedeutet das, Strategien zu finden, die beide Seiten befriedigen.
· Flexi-Routinen: Statt starrer Zeitpläne (die das ADHS hasst) helfen grobe Strukturen oder „Ankerpunkte“ im Tag (die dem Autismus Sicherheit geben), zwischen denen Freiraum für Spontanität bleibt.
· Sensorisches Management: Lärmreduzierende Kopfhörer oder Sonnenbrillen sind keine Accessoires, sondern Hilfsmittel zur Regulation des Nervensystems, um Reizüberflutung vorzubeugen.
· Stimming akzeptieren: Sich wiederholende Bewegungen oder Geräusche (Stimming) helfen beim Stressabbau. Es ist wichtig, diese Mechanismen nicht zu unterdrücken.
· Soziale Batterien: Neurodivergente Betroffene müssen lernen, ihre Grenzen zu respektieren. Es ist okay, Partys früher zu verlassen oder Treffen abzusagen, wenn die Energie nicht reicht.
Ist AUDHS eine Behinderung oder eine Superkraft?
In der Debatte um Neurodiversität wird oft polarisiert. Ist es eine Krankheit oder eine Gabe? Die Realität liegt dazwischen. AUDHS bringt unbestreitbar Herausforderungen mit sich, die im ICD-System als diagnostisch relevant und einschränkend definiert sind. Die Schwierigkeiten in der Exekutivfunktion und der sozialen Interaktion können zu echtem Leid führen.
Doch gleichzeitig verfügen Betroffene mit AUDHS oft über außergewöhnliche Fähigkeiten: Kreativität, die Fähigkeit zu hyperfokussiertem Arbeiten, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und die Gabe, komplexe Muster zu erkennen, die neurotypischen Menschen entgehen. Das Gehirn arbeitet anders, nicht unbedingt schlechter. Mit der richtigen Diagnose und Behandlung (sei es Therapie, Coaching oder Medikation) und vor allem mit Selbstakzeptanz, können Betroffene aufhören, gegen sich selbst zu kämpfen, und anfangen, ihre einzigartige Art zu sein, zu nutzen.
Das Wichtigste in Kürze
· AUDHS bezeichnet das gemeinsame Auftreten von Autismus und ADHS, was lange Zeit als diagnostisch unmöglich galt.
· Die Symptome von ADHS (Chaos, Neugier) und Autismus (Struktur, Routine) stehen oft im Widerspruch und maskieren einander.
· Klassische Symptome von ASS sind bei AUDHS oft weniger sichtbar, was zu späten Diagnosen oder Fehldiagnosen führt.
· Die Behandlung nur einer Störung (z. B. nur ADHS) kann die Symptome der anderen verstärken oder sichtbar machen.
· Ein verständnisvoller Umgang mit der eigenen Neurodivergenz, angepasst an die individuellen Bedürfnisse, ist wichtiger als der Versuch, „normal“ zu wirken.
VERWANDTE ARTIKEL:
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AUDHS: Wenn Autismus und ADHS aufeinandertreffen – der stille Kampf im Kopf
In der modernen Psychologie erleben wir einen Paradigmenwechsel: Immer häufiger wird erkannt, dass ADHS und Autismus nicht nur getrennt voneinander existieren, sondern auch gemeinsam auftreten können. Dieses Phänomen, von der Community oft als AUDHS bezeichnet, stellt Betroffene vor einzigartige Herausforderungen.
Worum es geht:
· warum diese Kombination so oft übersehen wird,
· wie sich die widersprüchlichen Bedürfnisse im Alltag äußern, und,
· warum eine präzise Diagnose der Schlüssel zu mehr Selbstakzeptanz und Lebensqualität ist.
Es geht um die komplexe Überschneidung dieser neurobiologischen Besonderheiten und den Weg zu mehr Klarheit.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff AUDHS?
Der Begriff AUDHS ist keine offizielle medizinische Bezeichnung aus dem ICD-10 oder DSM-5, sondern eine Wortschöpfung der Neurodiversitäts-Community. Er beschreibt das gleichzeitige Vorliegen von Autismus (Autismus-Spektrum-Störung, ASS) und einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Lange Zeit galt in der klinischen Praxis die Lehrmeinung, dass man diese beiden Diagnosen nicht gleichzeitig stellen könne. Erst mit der Aktualisierung der Diagnosehandbücher (wie dem DSM-5 im Jahr 2013) wurde offiziell anerkannt, dass ADHS und Autismus gemeinsam existieren können – eine sogenannte Comorbidity.
Für Betroffene mit AUDHS bedeutet dies oft ein Leben voller innerer Widersprüche. Während das eine Störungsbild nach Neuheit und Stimulation schreit (ADHS), sehnt sich der andere Teil nach Routine, Vorhersehbarkeit und Ruhe (Autismus). Es ist, als würden Gaspedal und Bremse gleichzeitig betätigt. Diese Überschneidung führt dazu, dass sich die Symptome gegenseitig maskieren können, was das Erkennen der Neurodivergenz für Außenstehende und sogar für Fachkräfte extrem erschwert.
Warum wurde die Kombination von ADHS und Autismus so lange übersehen?
Historisch gesehen neigten Diagnostiker dazu, sich auf das offensichtlichste Verhalten zu konzentrieren. Ein Kind, das nicht stillsitzen konnte, erhielt eine ADHS-Diagnose. Ein Kind, das Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion hatte, wurde als Autist eingestuft. Die Möglichkeit, dass beide Störungsbilder präsent sein könnten, wurde durch veraltete Diagnosekriterien oft ausgeschlossen. Viele Erwachsene, die heute die Praxis aufsuchen, haben daher Jahrzehnte im Ungewissen verbracht.
Zudem ist das Erscheinungsbild von AUDHS oft untypisch. Die Impulsivität des ADHS kann die soziale Zurückhaltung des Autismus überdecken, sodass der Mensch extrovertierter wirkt als ein „typischer“ Autist. Umgekehrt kann das Bedürfnis nach Struktur bei Autismus das Chaos und die Desorganisation des ADHS teilweise kompensieren. Diese gegenseitige Maskierung führt dazu, dass viele neurodivergente Betroffene durch das Raster fallen und erst im Erwachsenenalter, oft nach einem Burn-out, die richtige Beurteilung erhalten.
Welche Symptome von ADHS stehen im Konflikt mit Autismus?
Das Kernmerkmal von AUDHS ist der interne Konflikt. Ein klassisches Beispiel ist das Bedürfnis nach Routine. Ein autistischer Mensch benötigt oft feste Abläufe, um sich sicher zu fühlen und Reizüberflutung zu vermeiden. Doch das Gehirn eines Betroffenen mit ADHS langweilt sich schnell bei Wiederholungen und sucht nach dem Dopamin-Kick durch Neues. Das Ergebnis ist oft ein quälender Kreislauf: Man erstellt Pläne, um Struktur zu schaffen, bricht diese aber fast sofort wieder, weil sie sich wie ein Gefängnis anfühlen.
Auch im Bereich der Spezialinteressen zeigt sich dieser Konflikt. Autisten sind bekannt für tiefgehende, lang anhaltende Interessen (Monotropismus). Kommt jedoch ADHS hinzu, kann die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sein. Man stürzt sich mit hyperfokussierter Leidenschaft in ein neues Hobby, kauft die gesamte Ausrüstung, nur um das Interesse zwei Wochen später schlagartig zu verlieren. Dieser Wechsel zwischen intensiver Begeisterung und plötzlicher Ablenkbarkeit ist für Betroffene oft frustrierend und schwer zu erklären.
Wie beeinflussen sich die neurobiologischen Grundlagen gegenseitig?
ADHS und ASS sind beide neurologische Entwicklungsstörungen, die tief in der Art und Weise verwurzelt sind, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Bei ADHS liegt oft ein Mangel an verfügbarem Dopamin im präfrontalen Kortex vor, was zu Problemen bei der Exekutivfunktion (Planung, Impulskontrolle) führt. Autismus hingegen wird oft mit einer anderen Vernetzung im Gehirn assoziiert, die zu einer intensiveren Wahrnehmung von sensorischen Reizen und Details führt.
Wenn diese beiden Profile zusammentreffen, entsteht eine einzigartige neurobiologische Dynamik. Die exekutiven Funktionsstörungen des ADHS (wie Vergesslichkeit) können bei einem Autisten enorme Ängste auslösen, da Fehler oder Unvorhersehbarkeiten als bedrohlich empfunden werden. Gleichzeitig kann die Hyperaktivität des ADHS dazu führen, dass sich der Mensch ständig in Situationen begibt, die seine sensorischen Grenzen überschreiten, was zu einer chronischen Erschöpfung führt. Es ist ein ständiges Navigieren zwischen Unterstimulation (Langeweile) und Überstimulation (Overload).
Welche Rolle spielt „Masking“ bei der Diagnose?
Masking (oder Kompensation) ist einer der Hauptgründe für späte Diagnosen. Neurodivergente Betroffene, insbesondere Frauen und „hochfunktionale“ Betroffene, lernen früh, ihre Symptome zu unterdrücken, um in einer neurotypischen Welt nicht aufzufallen. Bei AUDHS ist das Masking besonders komplex, da die Symptome sich teilweise gegenseitig beeinflussen und neutralisieren.
Zum Beispiel könnte ein Betroffener ihre ADHS-bedingte Unpünktlichkeit durch extreme autistische Kontrolle und Angst kompensieren und so überpünktlich erscheinen. Oder sie nutzt ihre autistischen Analysefähigkeiten, um soziale Skripte zu lernen, wodurch sie ihre sozialen Unsicherheiten verbirgt. Dieses ständige Schauspiel kostet jedoch enorme kognitive Energie. Nach außen wirkt die Menschheit funktional, aber innerlich steht sie oft kurz vor dem Zusammenbruch. Wenn Diagnostiker nur das Verhalten im Praxisraum beobachten und nicht die innere Anstrengung hinterfragen, wird die Neurodivergenz oft übersehen.
Warum kommt es häufig zu Fehldiagnosen wie Depression oder Borderline?
Bevor die korrekte Diagnose AUDHS gestellt wird, haben viele Patienten eine Odyssee an Fehldiagnosen hinter sich. Häufig werden Angststörungen oder Depressionen diagnostiziert. Diese sind jedoch oft Sekundärerkrankungen, die aus der chronischen Überforderung resultieren, als neurodivergenter Mensch in einer nicht angepassten Welt zu leben. Die emotionale Dysregulation bei AUDHS – schnelle Stimmungswechsel, Wutausbrüche oder Tränen bei Überforderung – wird zudem oft fälschlicherweise als Borderline-Persönlichkeitsstörung oder bipolare Störung interpretiert.
Der Unterschied ist entscheidend: Bei AUDHS sind die Stimmungsschwankungen meist reaktiv auf die Umgebung (z. B. sensorischen Stress oder Planänderungen) und von kürzerer Dauer als bei affektiven Störungen. Auch hochsensible Betroffene werden oft in diese Schublade gesteckt, ohne dass geprüft wird, ob eigentlich eine unerkannte Autismus-Spektrum-Störung oder ADHS vorliegt. Eine reine Behandlung der „Depression“ mit Medikamenten oder Standardtherapie greift oft zu kurz, da die zugrundeliegende neurologische Struktur nicht berücksichtigt wird.
Wie sieht eine differenzierte Diagnostik bei Erwachsenen aus?
Eine offizielle Diagnose im Erwachsenenalter zu erhalten, ist oft ein langer Weg. Die Diagnosekriterien für ADHS und Autismus sind immer noch stark auf Kinder ausgerichtet. Ein qualifizierter Diagnostiker muss daher tief graben und nicht nur aktuelle Symptome, sondern die gesamte Lebensgeschichte betrachten. Bei der Diagnostik von AUDHS ist es wichtig, die Nuancen zu erkennen: Wie sahen die Probleme in der Kindheit aus? Wie wurden sie kompensiert?
Es reicht nicht, Fragebögen auszufüllen. Es bedarf klinischer Interviews, die gezielt nach den inneren Erlebensweisen fragen. Zum Beispiel: „Sind Sie organisiert, weil es Ihnen leicht fällt, oder weil Sie Panik bekommen, wenn Sie es nicht sind?“ Hier zeigt sich oft der Unterschied zwischen einem neurotypischen Verhalten und einem Kompensationsmechanismus. Um beiden Diagnosen gerecht zu werden, müssen Fachleute verstehen, dass das Fehlen bestimmter klassischer Symptome von ASS (wie Blickkontaktvermeidung) durch erlerntes Verhalten maskiert sein kann, während ADHS-Symptome vielleicht weniger körperlich, sondern eher als innere Unruhe auftreten.
Was passiert, wenn nur ADHS oder nur Autismus diagnostiziert wird?
Wird nur eine der beiden Konditionen erkannt, kann die Behandlung paradoxerweise neue Probleme aufdecken. Ein häufiges Phänomen ist, dass Patienten eine ADHS-Diagnose erhalten und mit Stimulanzien (wie Medikinet oder Elvanse) behandelt werden. Wenn die Medikamente wirken, lassen das innere Chaos und der „Nebel“ des ADHS nach. Plötzlich treten jedoch die autistischen Züge stärker hervor.
Ohne den ständigen Antrieb des ADHS bemerkt der Patient vielleicht plötzlich, wie sehr ihn Geräusche stören, wie schwer ihm Small Talk fällt oder wie sehr er Veränderungen hasst. Die Autistin oder der Autist im Inneren wird „sichtbar“. Dies kann verwirrend sein („Macht das Medikament mich autistischer?“). Tatsächlich ist es oft ein Unmasking: Das ADHS hat den Autismus bisher überlagert. Werden diese Zusammenhänge nicht erkannt, kann dies zu Behandlungsabbrüchen oder Verunsicherung führen. Daher ist es essenziell, Autismus und ADHS als mögliches Gesamtpaket im Blick zu haben.
Wie können Betroffene mit AUDHS ihren Alltag bewältigen?
Der Schlüssel liegt nicht darin, sich zu „heilen“, sondern darin, das Leben an die eigene Neurodiversität anzupassen. Für Betroffene mit AUDHS bedeutet das, Strategien zu finden, die beide Seiten befriedigen.
· Flexi-Routinen: Statt starrer Zeitpläne (die das ADHS hasst) helfen grobe Strukturen oder „Ankerpunkte“ im Tag (die dem Autismus Sicherheit geben), zwischen denen Freiraum für Spontanität bleibt.
· Sensorisches Management: Lärmreduzierende Kopfhörer oder Sonnenbrillen sind keine Accessoires, sondern Hilfsmittel zur Regulation des Nervensystems, um Reizüberflutung vorzubeugen.
· Stimming akzeptieren: Sich wiederholende Bewegungen oder Geräusche (Stimming) helfen beim Stressabbau. Es ist wichtig, diese Mechanismen nicht zu unterdrücken.
· Soziale Batterien: Neurodivergente Betroffene müssen lernen, ihre Grenzen zu respektieren. Es ist okay, Partys früher zu verlassen oder Treffen abzusagen, wenn die Energie nicht reicht.
Ist AUDHS eine Behinderung oder eine Superkraft?
In der Debatte um Neurodiversität wird oft polarisiert. Ist es eine Krankheit oder eine Gabe? Die Realität liegt dazwischen. AUDHS bringt unbestreitbar Herausforderungen mit sich, die im ICD-System als diagnostisch relevant und einschränkend definiert sind. Die Schwierigkeiten in der Exekutivfunktion und der sozialen Interaktion können zu echtem Leid führen.
Doch gleichzeitig verfügen Betroffene mit AUDHS oft über außergewöhnliche Fähigkeiten: Kreativität, die Fähigkeit zu hyperfokussiertem Arbeiten, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und die Gabe, komplexe Muster zu erkennen, die neurotypischen Menschen entgehen. Das Gehirn arbeitet anders, nicht unbedingt schlechter. Mit der richtigen Diagnose und Behandlung (sei es Therapie, Coaching oder Medikation) und vor allem mit Selbstakzeptanz, können Betroffene aufhören, gegen sich selbst zu kämpfen, und anfangen, ihre einzigartige Art zu sein, zu nutzen.
Das Wichtigste in Kürze
· AUDHS bezeichnet das gemeinsame Auftreten von Autismus und ADHS, was lange Zeit als diagnostisch unmöglich galt.
· Die Symptome von ADHS (Chaos, Neugier) und Autismus (Struktur, Routine) stehen oft im Widerspruch und maskieren einander.
· Klassische Symptome von ASS sind bei AUDHS oft weniger sichtbar, was zu späten Diagnosen oder Fehldiagnosen führt.
· Die Behandlung nur einer Störung (z. B. nur ADHS) kann die Symptome der anderen verstärken oder sichtbar machen.
· Ein verständnisvoller Umgang mit der eigenen Neurodivergenz, angepasst an die individuellen Bedürfnisse, ist wichtiger als der Versuch, „normal“ zu wirken.
VERWANDTE ARTIKEL:
Autismus verstehen: 7 typische missverstandene Verhaltensweisen (Info-Dumping, Echolalia und andere)
DESCRIPTION:
AUDHS: Autismus und ADHS gleichzeitig – eine komplexe Kombination. Symptome, Diagnose und Umgang mit dieser besonderen Konstellation.
AUDHS: Wenn Autismus und ADHS aufeinandertreffen – der stille Kampf im Kopf
In der modernen Psychologie erleben wir einen Paradigmenwechsel: Immer häufiger wird erkannt, dass ADHS und Autismus nicht nur getrennt voneinander existieren, sondern auch gemeinsam auftreten können. Dieses Phänomen, von der Community oft als AUDHS bezeichnet, stellt Betroffene vor einzigartige Herausforderungen.
Worum es geht:
· warum diese Kombination so oft übersehen wird,
· wie sich die widersprüchlichen Bedürfnisse im Alltag äußern, und,
· warum eine präzise Diagnose der Schlüssel zu mehr Selbstakzeptanz und Lebensqualität ist.
Es geht um die komplexe Überschneidung dieser neurobiologischen Besonderheiten und den Weg zu mehr Klarheit.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff AUDHS?
Der Begriff AUDHS ist keine offizielle medizinische Bezeichnung aus dem ICD-10 oder DSM-5, sondern eine Wortschöpfung der Neurodiversitäts-Community. Er beschreibt das gleichzeitige Vorliegen von Autismus (Autismus-Spektrum-Störung, ASS) und einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Lange Zeit galt in der klinischen Praxis die Lehrmeinung, dass man diese beiden Diagnosen nicht gleichzeitig stellen könne. Erst mit der Aktualisierung der Diagnosehandbücher (wie dem DSM-5 im Jahr 2013) wurde offiziell anerkannt, dass ADHS und Autismus gemeinsam existieren können – eine sogenannte Comorbidity.
Für Betroffene mit AUDHS bedeutet dies oft ein Leben voller innerer Widersprüche. Während das eine Störungsbild nach Neuheit und Stimulation schreit (ADHS), sehnt sich der andere Teil nach Routine, Vorhersehbarkeit und Ruhe (Autismus). Es ist, als würden Gaspedal und Bremse gleichzeitig betätigt. Diese Überschneidung führt dazu, dass sich die Symptome gegenseitig maskieren können, was das Erkennen der Neurodivergenz für Außenstehende und sogar für Fachkräfte extrem erschwert.
Warum wurde die Kombination von ADHS und Autismus so lange übersehen?
Historisch gesehen neigten Diagnostiker dazu, sich auf das offensichtlichste Verhalten zu konzentrieren. Ein Kind, das nicht stillsitzen konnte, erhielt eine ADHS-Diagnose. Ein Kind, das Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion hatte, wurde als Autist eingestuft. Die Möglichkeit, dass beide Störungsbilder präsent sein könnten, wurde durch veraltete Diagnosekriterien oft ausgeschlossen. Viele Erwachsene, die heute die Praxis aufsuchen, haben daher Jahrzehnte im Ungewissen verbracht.
Zudem ist das Erscheinungsbild von AUDHS oft untypisch. Die Impulsivität des ADHS kann die soziale Zurückhaltung des Autismus überdecken, sodass der Mensch extrovertierter wirkt als ein „typischer“ Autist. Umgekehrt kann das Bedürfnis nach Struktur bei Autismus das Chaos und die Desorganisation des ADHS teilweise kompensieren. Diese gegenseitige Maskierung führt dazu, dass viele neurodivergente Betroffene durch das Raster fallen und erst im Erwachsenenalter, oft nach einem Burn-out, die richtige Beurteilung erhalten.
Welche Symptome von ADHS stehen im Konflikt mit Autismus?
Das Kernmerkmal von AUDHS ist der interne Konflikt. Ein klassisches Beispiel ist das Bedürfnis nach Routine. Ein autistischer Mensch benötigt oft feste Abläufe, um sich sicher zu fühlen und Reizüberflutung zu vermeiden. Doch das Gehirn eines Betroffenen mit ADHS langweilt sich schnell bei Wiederholungen und sucht nach dem Dopamin-Kick durch Neues. Das Ergebnis ist oft ein quälender Kreislauf: Man erstellt Pläne, um Struktur zu schaffen, bricht diese aber fast sofort wieder, weil sie sich wie ein Gefängnis anfühlen.
Auch im Bereich der Spezialinteressen zeigt sich dieser Konflikt. Autisten sind bekannt für tiefgehende, lang anhaltende Interessen (Monotropismus). Kommt jedoch ADHS hinzu, kann die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sein. Man stürzt sich mit hyperfokussierter Leidenschaft in ein neues Hobby, kauft die gesamte Ausrüstung, nur um das Interesse zwei Wochen später schlagartig zu verlieren. Dieser Wechsel zwischen intensiver Begeisterung und plötzlicher Ablenkbarkeit ist für Betroffene oft frustrierend und schwer zu erklären.
Wie beeinflussen sich die neurobiologischen Grundlagen gegenseitig?
ADHS und ASS sind beide neurologische Entwicklungsstörungen, die tief in der Art und Weise verwurzelt sind, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Bei ADHS liegt oft ein Mangel an verfügbarem Dopamin im präfrontalen Kortex vor, was zu Problemen bei der Exekutivfunktion (Planung, Impulskontrolle) führt. Autismus hingegen wird oft mit einer anderen Vernetzung im Gehirn assoziiert, die zu einer intensiveren Wahrnehmung von sensorischen Reizen und Details führt.
Wenn diese beiden Profile zusammentreffen, entsteht eine einzigartige neurobiologische Dynamik. Die exekutiven Funktionsstörungen des ADHS (wie Vergesslichkeit) können bei einem Autisten enorme Ängste auslösen, da Fehler oder Unvorhersehbarkeiten als bedrohlich empfunden werden. Gleichzeitig kann die Hyperaktivität des ADHS dazu führen, dass sich der Mensch ständig in Situationen begibt, die seine sensorischen Grenzen überschreiten, was zu einer chronischen Erschöpfung führt. Es ist ein ständiges Navigieren zwischen Unterstimulation (Langeweile) und Überstimulation (Overload).
Welche Rolle spielt „Masking“ bei der Diagnose?
Masking (oder Kompensation) ist einer der Hauptgründe für späte Diagnosen. Neurodivergente Betroffene, insbesondere Frauen und „hochfunktionale“ Betroffene, lernen früh, ihre Symptome zu unterdrücken, um in einer neurotypischen Welt nicht aufzufallen. Bei AUDHS ist das Masking besonders komplex, da die Symptome sich teilweise gegenseitig beeinflussen und neutralisieren.
Zum Beispiel könnte ein Betroffener ihre ADHS-bedingte Unpünktlichkeit durch extreme autistische Kontrolle und Angst kompensieren und so überpünktlich erscheinen. Oder sie nutzt ihre autistischen Analysefähigkeiten, um soziale Skripte zu lernen, wodurch sie ihre sozialen Unsicherheiten verbirgt. Dieses ständige Schauspiel kostet jedoch enorme kognitive Energie. Nach außen wirkt die Menschheit funktional, aber innerlich steht sie oft kurz vor dem Zusammenbruch. Wenn Diagnostiker nur das Verhalten im Praxisraum beobachten und nicht die innere Anstrengung hinterfragen, wird die Neurodivergenz oft übersehen.
Warum kommt es häufig zu Fehldiagnosen wie Depression oder Borderline?
Bevor die korrekte Diagnose AUDHS gestellt wird, haben viele Patienten eine Odyssee an Fehldiagnosen hinter sich. Häufig werden Angststörungen oder Depressionen diagnostiziert. Diese sind jedoch oft Sekundärerkrankungen, die aus der chronischen Überforderung resultieren, als neurodivergenter Mensch in einer nicht angepassten Welt zu leben. Die emotionale Dysregulation bei AUDHS – schnelle Stimmungswechsel, Wutausbrüche oder Tränen bei Überforderung – wird zudem oft fälschlicherweise als Borderline-Persönlichkeitsstörung oder bipolare Störung interpretiert.
Der Unterschied ist entscheidend: Bei AUDHS sind die Stimmungsschwankungen meist reaktiv auf die Umgebung (z. B. sensorischen Stress oder Planänderungen) und von kürzerer Dauer als bei affektiven Störungen. Auch hochsensible Betroffene werden oft in diese Schublade gesteckt, ohne dass geprüft wird, ob eigentlich eine unerkannte Autismus-Spektrum-Störung oder ADHS vorliegt. Eine reine Behandlung der „Depression“ mit Medikamenten oder Standardtherapie greift oft zu kurz, da die zugrundeliegende neurologische Struktur nicht berücksichtigt wird.
Wie sieht eine differenzierte Diagnostik bei Erwachsenen aus?
Eine offizielle Diagnose im Erwachsenenalter zu erhalten, ist oft ein langer Weg. Die Diagnosekriterien für ADHS und Autismus sind immer noch stark auf Kinder ausgerichtet. Ein qualifizierter Diagnostiker muss daher tief graben und nicht nur aktuelle Symptome, sondern die gesamte Lebensgeschichte betrachten. Bei der Diagnostik von AUDHS ist es wichtig, die Nuancen zu erkennen: Wie sahen die Probleme in der Kindheit aus? Wie wurden sie kompensiert?
Es reicht nicht, Fragebögen auszufüllen. Es bedarf klinischer Interviews, die gezielt nach den inneren Erlebensweisen fragen. Zum Beispiel: „Sind Sie organisiert, weil es Ihnen leicht fällt, oder weil Sie Panik bekommen, wenn Sie es nicht sind?“ Hier zeigt sich oft der Unterschied zwischen einem neurotypischen Verhalten und einem Kompensationsmechanismus. Um beiden Diagnosen gerecht zu werden, müssen Fachleute verstehen, dass das Fehlen bestimmter klassischer Symptome von ASS (wie Blickkontaktvermeidung) durch erlerntes Verhalten maskiert sein kann, während ADHS-Symptome vielleicht weniger körperlich, sondern eher als innere Unruhe auftreten.
Was passiert, wenn nur ADHS oder nur Autismus diagnostiziert wird?
Wird nur eine der beiden Konditionen erkannt, kann die Behandlung paradoxerweise neue Probleme aufdecken. Ein häufiges Phänomen ist, dass Patienten eine ADHS-Diagnose erhalten und mit Stimulanzien (wie Medikinet oder Elvanse) behandelt werden. Wenn die Medikamente wirken, lassen das innere Chaos und der „Nebel“ des ADHS nach. Plötzlich treten jedoch die autistischen Züge stärker hervor.
Ohne den ständigen Antrieb des ADHS bemerkt der Patient vielleicht plötzlich, wie sehr ihn Geräusche stören, wie schwer ihm Small Talk fällt oder wie sehr er Veränderungen hasst. Die Autistin oder der Autist im Inneren wird „sichtbar“. Dies kann verwirrend sein („Macht das Medikament mich autistischer?“). Tatsächlich ist es oft ein Unmasking: Das ADHS hat den Autismus bisher überlagert. Werden diese Zusammenhänge nicht erkannt, kann dies zu Behandlungsabbrüchen oder Verunsicherung führen. Daher ist es essenziell, Autismus und ADHS als mögliches Gesamtpaket im Blick zu haben.
Wie können Betroffene mit AUDHS ihren Alltag bewältigen?
Der Schlüssel liegt nicht darin, sich zu „heilen“, sondern darin, das Leben an die eigene Neurodiversität anzupassen. Für Betroffene mit AUDHS bedeutet das, Strategien zu finden, die beide Seiten befriedigen.
· Flexi-Routinen: Statt starrer Zeitpläne (die das ADHS hasst) helfen grobe Strukturen oder „Ankerpunkte“ im Tag (die dem Autismus Sicherheit geben), zwischen denen Freiraum für Spontanität bleibt.
· Sensorisches Management: Lärmreduzierende Kopfhörer oder Sonnenbrillen sind keine Accessoires, sondern Hilfsmittel zur Regulation des Nervensystems, um Reizüberflutung vorzubeugen.
· Stimming akzeptieren: Sich wiederholende Bewegungen oder Geräusche (Stimming) helfen beim Stressabbau. Es ist wichtig, diese Mechanismen nicht zu unterdrücken.
· Soziale Batterien: Neurodivergente Betroffene müssen lernen, ihre Grenzen zu respektieren. Es ist okay, Partys früher zu verlassen oder Treffen abzusagen, wenn die Energie nicht reicht.
Ist AUDHS eine Behinderung oder eine Superkraft?
In der Debatte um Neurodiversität wird oft polarisiert. Ist es eine Krankheit oder eine Gabe? Die Realität liegt dazwischen. AUDHS bringt unbestreitbar Herausforderungen mit sich, die im ICD-System als diagnostisch relevant und einschränkend definiert sind. Die Schwierigkeiten in der Exekutivfunktion und der sozialen Interaktion können zu echtem Leid führen.
Doch gleichzeitig verfügen Betroffene mit AUDHS oft über außergewöhnliche Fähigkeiten: Kreativität, die Fähigkeit zu hyperfokussiertem Arbeiten, einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und die Gabe, komplexe Muster zu erkennen, die neurotypischen Menschen entgehen. Das Gehirn arbeitet anders, nicht unbedingt schlechter. Mit der richtigen Diagnose und Behandlung (sei es Therapie, Coaching oder Medikation) und vor allem mit Selbstakzeptanz, können Betroffene aufhören, gegen sich selbst zu kämpfen, und anfangen, ihre einzigartige Art zu sein, zu nutzen.
Das Wichtigste in Kürze
· AUDHS bezeichnet das gemeinsame Auftreten von Autismus und ADHS, was lange Zeit als diagnostisch unmöglich galt.
· Die Symptome von ADHS (Chaos, Neugier) und Autismus (Struktur, Routine) stehen oft im Widerspruch und maskieren einander.
· Klassische Symptome von ASS sind bei AUDHS oft weniger sichtbar, was zu späten Diagnosen oder Fehldiagnosen führt.
· Die Behandlung nur einer Störung (z. B. nur ADHS) kann die Symptome der anderen verstärken oder sichtbar machen.
· Ein verständnisvoller Umgang mit der eigenen Neurodivergenz, angepasst an die individuellen Bedürfnisse, ist wichtiger als der Versuch, „normal“ zu wirken.
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