Maladaptives Tagträumen: Zwischen kultureller Tradition und moderner Störung (26)
Maladaptives Tagträumen: Zwischen kultureller Tradition und moderner Störung (26)
Maladaptives Tagträumen
Veröffentlicht am:
28.09.2025


Description: Eine kulturhistorische Einordnung des Tagträumens: Warum es als kreative Kraft verehrt, aber als Störung ignoriert wird und welche Rolle moderne Medien und Online-Communities spielen.
Verwandte Artikel:
Wie Maladaptives Tagträumen Ihr Leben beeinflusst: Beruf, Beziehungen und Alltag (25)
Maladaptives Tagträumen überwinden: Wirksame Therapien und praktische Strategien für den Alltag (24)
Teaser (Lead)
Tagträumen hat in Kunst und Literatur seit jeher einen besonderen Stellenwert – als Quelle der Inspiration und kreativen Genialität. Doch was passiert, wenn diese Fähigkeit zur Flucht wird? Ein Blick auf die kulturelle Ambivalenz des Tagträumens, die Rolle der Medien und die Entstehung einer globalen Community, die sich Gehör verschafft.
Kulturanalyse, Medien & Community: Maladaptives Tagträumen im gesellschaftlichen Kontext
Lesen Sie zuerst den ausführlichen Hauptartikel [Maladaptives Tagträumen – verstehen, behandeln und überwinden]
oder
den Überblick „Maladaptives Tagträumen – Ursachen, Symptome und Hilfe“. Dieser Themenartikel untersucht die Funktionen des Tagträumens als Bewältigungsmechanismus.
1. Kulturelle und historische Perspektive: Der (verklärte) Blick auf das Träumen
Die menschliche Faszination für innere Welten ist tief in unserer Kultur verwurzelt. Doch die Bewertung des Tagträumens unterlag stets einem Wandel.
Der romantisierte Träumer: Die Figur des verträumten Künstlers oder Philosophen, der in Gedanken verloren ist, ist ein klassisches Motiv der Romantik. Tagträumen wurde als Zeichen von Sensibilität, Tiefgang und Kreativität idealisiert.
Der moralische Verfall: In anderen Epochen, besonders im Zuge der Industrialisierung und ihrer Betonung von Disziplin und Produktivität, wurde Tagträumen als Müßiggang, Faulheit oder Charakterschwäche abgetan.
Die kognitive Leistung: Erst die moderne Psychologie begann, die adaptiven Funktionen des Tagträumens zu erforschen – von der Problemlösung über die kreative Inspiration bis zur mentalen Simulation sozialer Szenarien.
Das Paradoxon: Diese kulturelle Tradition macht es schwer, Maladaptives Tagträumen als ernst zu nehmendes Problem zu erkennen. Was jahrhundertelang als Quelle der Genialität galt, kann heute pathologisch sein? Betroffene kämpfen nicht nur mit ihren Symptomen, sondern auch mit diesem kulturellen Erbe, das ihr Leiden unsichtbar macht oder verklärt.
2. Die Rolle der Medien: Vom Katalysator zum Spiegelbild
Moderne Medienformen können Maladaptives Tagträumen sowohl befeuern als auch kritisch thematisieren.
Trigger und Werkzeug: Serien, Filme, Bücher und vor allem Musik sind häufige Auslöser für Tagträume. Sie liefern Charaktere, Settings und emotionale Soundtracks, die in die inneren Narrativen integriert werden. Gleichzeitig können sie bewusst als „Soundtrack“ für die Tagträume genutzt werden.
Repräsentation und Aufklärung: Inzwischen findet das Thema langsam Eingang in die Popkultur. Serien wie „You“ oder „Crazy Ex-Girlfriend“ zeigen Figuren mit ausgeprägten, teils problematischen Fantasiewelten. Diese Darstellungen, wenn auch nicht immer klinisch akkurat, schaffen erstmals eine Referenz und können Betroffenen das Gefühl geben, „gesehen“ zu werden.
Soziale Medien: Plattformen wie TikTok und Reddit haben eine zwiespältige Wirkung. Einerseits können algorithmisch generierte „Daydreaming“-Feeds das Verhalten verstärken. Andererseits sind sie die Geburtsstätte der globalen Community.
3. Die Entstehung einer globalen Community: Vom Stigma zur Solidarität
Die größte Veränderung im Diskurs um Maladaptives Tagträumen ist die Entstehung einer organischen, digitalen Selbsthilfebewegung.
Von der Isolation zur Vernetzung: Jahrelang dachten Betroffene, sie seien allein mit ihrem „verrückten“ Geheimnis. Das Internet hat dies radikal verändert. Auf Plattformen wie Reddit (r/MaladaptiveDreaming), Discord oder speziellen Foren tauschen sich Zehntausende aus.
Geteiltes Vokabular: Die Community hat eine eigene Terminologie entwickelt („Para“, „Lore“, „Trigger“, „Mindscape“), die es erlaubt, die Erfahrung präzise zu beschreiben und zu teilen. Dies ist ein entscheidender Schritt zur Entstigmatisierung.
Collective Advocacy: Die Community treibt die wissenschaftliche Anerkennung voran. Betroffene initiieren Studien, kontaktieren Forschende und verbreiten Aufklärung. Sie sind keine passiven Leidenden mehr, sondern aktive Mitgestalter im Diskurs über ihre eigene Situation.
Kulturelle Übersetzung: Die Community fungiert als Dolmetscher zwischen der individuellen Erfahrung und der akademischen/medizinischen Welt. Sie macht das abstrakte Phänomen für Außenstehende greifbarer.
4. Kreativität als Fluch und Segen: Das kulturelle Erbe neu denken
Die Community steht vor der Aufgabe, das kulturelle Narrativ des „kreativen Träumers“ für sich neu zu definieren.
Die Ambivalenz: Viele Betroffene sind tatsächlich überdurchschnittlich kreativ, fantasievoll und empathisch. Diese Gaben sind gleichzeitig der Kern ihres Leidens.
Vom maladaptiven zum adaptiven Tagträumen: Das Ziel ist nicht, die Imagination zu zerstören, sondern sie zu kanalisieren. Künstlerische Betätigung (Schreiben, Zeichnen, Komponieren) wird in der Community aktiv als Bewältigungsstrategie empfohlen, um die inneren Welten in externe, kontrollierbare Kreationen zu überführen.
Ein neues Narrativ: Es entsteht langsam eine neue Geschichte: die des resilienten Menschen, der seine überbordende Fantasie nicht als Fluch, sondern als potenzielle Ressource begreift, die es zu zähmen gilt. Dies ist ein empowernder Gegenentwurf zur reinen Pathologisierung.
FAQ
Warum ist Maladaptives Tagträumen in der Gesellschaft noch so unbekannt?
Weil es nach außen hin unsichtbar ist, keine offensichtlichen „Opfer“ hat (wie bei Suchterkrankungen) und sich im Spannungsfeld zwischen kulturell verklärter Kreativität und persönlichem Versagen bewegt. Es fällt durch das Raster unserer üblichen Problemwahrnehmung.
Können Medien wie Bücher oder Filme Maladaptives Tagträumen auslösen?
Nicht die Medien selbst, sondern die emotionale Resonanz, die sie auslösen. Ein Buch kann so fesselnd sein, dass man nicht mehr in der Realität leben möchte. Ein Song kann ein perfekter emotionaler Soundtrack für eine Fantasie sein. Medien sind oft der Katalysator, nicht die Ursache.
Ich habe meine Tagträume immer für eine besondere Gabe gehalten. Bin ich jetzt krank?
Nicht unbedingt. Die Grenze verläuft dort, wo es Ihnen Leidensdruck verursacht und Sie die Kontrolle über Ihr Leben verlieren. Viele kreative Menschen tagträumen viel, aber adaptiv. Der Unterschied liegt in der Funktion und den Folgen.
Wie kann ich der Community beitreten oder mehr erfahren?
Die lebendigste Community findet sich auf Reddit (r/MaladaptiveDreaming). Dort finden Sie Diskussionen, Erfahrungsberichte und Ressourcen. Auf TikTok und Instagram unter Hashtags wie #maladaptivedaydreaming finden Sie kurze Aufklärungsvideos.
Wird Maladaptives Tagträumen irgendwann als offizielle Störung anerkannt werden?
Die Forschung dazu läuft. Die wachsende Community und die zunehmende Anzahl von Studien erhöhen den Druck auf die diagnostischen Manuals (wie das DSM). Der erste Schritt ist die Schaffung von Bewusstsein – und daran arbeitet die Community erfolgreich.
Maladaptives Tagträumen ist ein Kind seiner Zeit: Es ist eine uralte menschliche Fähigkeit, die in der modernen, reizüberfluteten Welt aus den Fugen geraten kann. Die entstehende globale Community ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Betroffene selbst die Narrative über ihr Leiden verändern und sich Gehör verschaffen.
Description: Eine kulturhistorische Einordnung des Tagträumens: Warum es als kreative Kraft verehrt, aber als Störung ignoriert wird und welche Rolle moderne Medien und Online-Communities spielen.
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Lesen Sie zuerst den ausführlichen Hauptartikel [Maladaptives Tagträumen – verstehen, behandeln und überwinden]
oder
den Überblick „Maladaptives Tagträumen – Ursachen, Symptome und Hilfe“. Dieser Themenartikel untersucht die Funktionen des Tagträumens als Bewältigungsmechanismus.
1. Kulturelle und historische Perspektive: Der (verklärte) Blick auf das Träumen
Die menschliche Faszination für innere Welten ist tief in unserer Kultur verwurzelt. Doch die Bewertung des Tagträumens unterlag stets einem Wandel.
Der romantisierte Träumer: Die Figur des verträumten Künstlers oder Philosophen, der in Gedanken verloren ist, ist ein klassisches Motiv der Romantik. Tagträumen wurde als Zeichen von Sensibilität, Tiefgang und Kreativität idealisiert.
Der moralische Verfall: In anderen Epochen, besonders im Zuge der Industrialisierung und ihrer Betonung von Disziplin und Produktivität, wurde Tagträumen als Müßiggang, Faulheit oder Charakterschwäche abgetan.
Die kognitive Leistung: Erst die moderne Psychologie begann, die adaptiven Funktionen des Tagträumens zu erforschen – von der Problemlösung über die kreative Inspiration bis zur mentalen Simulation sozialer Szenarien.
Das Paradoxon: Diese kulturelle Tradition macht es schwer, Maladaptives Tagträumen als ernst zu nehmendes Problem zu erkennen. Was jahrhundertelang als Quelle der Genialität galt, kann heute pathologisch sein? Betroffene kämpfen nicht nur mit ihren Symptomen, sondern auch mit diesem kulturellen Erbe, das ihr Leiden unsichtbar macht oder verklärt.
2. Die Rolle der Medien: Vom Katalysator zum Spiegelbild
Moderne Medienformen können Maladaptives Tagträumen sowohl befeuern als auch kritisch thematisieren.
Trigger und Werkzeug: Serien, Filme, Bücher und vor allem Musik sind häufige Auslöser für Tagträume. Sie liefern Charaktere, Settings und emotionale Soundtracks, die in die inneren Narrativen integriert werden. Gleichzeitig können sie bewusst als „Soundtrack“ für die Tagträume genutzt werden.
Repräsentation und Aufklärung: Inzwischen findet das Thema langsam Eingang in die Popkultur. Serien wie „You“ oder „Crazy Ex-Girlfriend“ zeigen Figuren mit ausgeprägten, teils problematischen Fantasiewelten. Diese Darstellungen, wenn auch nicht immer klinisch akkurat, schaffen erstmals eine Referenz und können Betroffenen das Gefühl geben, „gesehen“ zu werden.
Soziale Medien: Plattformen wie TikTok und Reddit haben eine zwiespältige Wirkung. Einerseits können algorithmisch generierte „Daydreaming“-Feeds das Verhalten verstärken. Andererseits sind sie die Geburtsstätte der globalen Community.
3. Die Entstehung einer globalen Community: Vom Stigma zur Solidarität
Die größte Veränderung im Diskurs um Maladaptives Tagträumen ist die Entstehung einer organischen, digitalen Selbsthilfebewegung.
Von der Isolation zur Vernetzung: Jahrelang dachten Betroffene, sie seien allein mit ihrem „verrückten“ Geheimnis. Das Internet hat dies radikal verändert. Auf Plattformen wie Reddit (r/MaladaptiveDreaming), Discord oder speziellen Foren tauschen sich Zehntausende aus.
Geteiltes Vokabular: Die Community hat eine eigene Terminologie entwickelt („Para“, „Lore“, „Trigger“, „Mindscape“), die es erlaubt, die Erfahrung präzise zu beschreiben und zu teilen. Dies ist ein entscheidender Schritt zur Entstigmatisierung.
Collective Advocacy: Die Community treibt die wissenschaftliche Anerkennung voran. Betroffene initiieren Studien, kontaktieren Forschende und verbreiten Aufklärung. Sie sind keine passiven Leidenden mehr, sondern aktive Mitgestalter im Diskurs über ihre eigene Situation.
Kulturelle Übersetzung: Die Community fungiert als Dolmetscher zwischen der individuellen Erfahrung und der akademischen/medizinischen Welt. Sie macht das abstrakte Phänomen für Außenstehende greifbarer.
4. Kreativität als Fluch und Segen: Das kulturelle Erbe neu denken
Die Community steht vor der Aufgabe, das kulturelle Narrativ des „kreativen Träumers“ für sich neu zu definieren.
Die Ambivalenz: Viele Betroffene sind tatsächlich überdurchschnittlich kreativ, fantasievoll und empathisch. Diese Gaben sind gleichzeitig der Kern ihres Leidens.
Vom maladaptiven zum adaptiven Tagträumen: Das Ziel ist nicht, die Imagination zu zerstören, sondern sie zu kanalisieren. Künstlerische Betätigung (Schreiben, Zeichnen, Komponieren) wird in der Community aktiv als Bewältigungsstrategie empfohlen, um die inneren Welten in externe, kontrollierbare Kreationen zu überführen.
Ein neues Narrativ: Es entsteht langsam eine neue Geschichte: die des resilienten Menschen, der seine überbordende Fantasie nicht als Fluch, sondern als potenzielle Ressource begreift, die es zu zähmen gilt. Dies ist ein empowernder Gegenentwurf zur reinen Pathologisierung.
FAQ
Warum ist Maladaptives Tagträumen in der Gesellschaft noch so unbekannt?
Weil es nach außen hin unsichtbar ist, keine offensichtlichen „Opfer“ hat (wie bei Suchterkrankungen) und sich im Spannungsfeld zwischen kulturell verklärter Kreativität und persönlichem Versagen bewegt. Es fällt durch das Raster unserer üblichen Problemwahrnehmung.
Können Medien wie Bücher oder Filme Maladaptives Tagträumen auslösen?
Nicht die Medien selbst, sondern die emotionale Resonanz, die sie auslösen. Ein Buch kann so fesselnd sein, dass man nicht mehr in der Realität leben möchte. Ein Song kann ein perfekter emotionaler Soundtrack für eine Fantasie sein. Medien sind oft der Katalysator, nicht die Ursache.
Ich habe meine Tagträume immer für eine besondere Gabe gehalten. Bin ich jetzt krank?
Nicht unbedingt. Die Grenze verläuft dort, wo es Ihnen Leidensdruck verursacht und Sie die Kontrolle über Ihr Leben verlieren. Viele kreative Menschen tagträumen viel, aber adaptiv. Der Unterschied liegt in der Funktion und den Folgen.
Wie kann ich der Community beitreten oder mehr erfahren?
Die lebendigste Community findet sich auf Reddit (r/MaladaptiveDreaming). Dort finden Sie Diskussionen, Erfahrungsberichte und Ressourcen. Auf TikTok und Instagram unter Hashtags wie #maladaptivedaydreaming finden Sie kurze Aufklärungsvideos.
Wird Maladaptives Tagträumen irgendwann als offizielle Störung anerkannt werden?
Die Forschung dazu läuft. Die wachsende Community und die zunehmende Anzahl von Studien erhöhen den Druck auf die diagnostischen Manuals (wie das DSM). Der erste Schritt ist die Schaffung von Bewusstsein – und daran arbeitet die Community erfolgreich.
Maladaptives Tagträumen ist ein Kind seiner Zeit: Es ist eine uralte menschliche Fähigkeit, die in der modernen, reizüberfluteten Welt aus den Fugen geraten kann. Die entstehende globale Community ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Betroffene selbst die Narrative über ihr Leiden verändern und sich Gehör verschaffen.
Description: Eine kulturhistorische Einordnung des Tagträumens: Warum es als kreative Kraft verehrt, aber als Störung ignoriert wird und welche Rolle moderne Medien und Online-Communities spielen.
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Maladaptives Tagträumen überwinden: Wirksame Therapien und praktische Strategien für den Alltag (24)
Teaser (Lead)
Tagträumen hat in Kunst und Literatur seit jeher einen besonderen Stellenwert – als Quelle der Inspiration und kreativen Genialität. Doch was passiert, wenn diese Fähigkeit zur Flucht wird? Ein Blick auf die kulturelle Ambivalenz des Tagträumens, die Rolle der Medien und die Entstehung einer globalen Community, die sich Gehör verschafft.
Kulturanalyse, Medien & Community: Maladaptives Tagträumen im gesellschaftlichen Kontext
Lesen Sie zuerst den ausführlichen Hauptartikel [Maladaptives Tagträumen – verstehen, behandeln und überwinden]
oder
den Überblick „Maladaptives Tagträumen – Ursachen, Symptome und Hilfe“. Dieser Themenartikel untersucht die Funktionen des Tagträumens als Bewältigungsmechanismus.
1. Kulturelle und historische Perspektive: Der (verklärte) Blick auf das Träumen
Die menschliche Faszination für innere Welten ist tief in unserer Kultur verwurzelt. Doch die Bewertung des Tagträumens unterlag stets einem Wandel.
Der romantisierte Träumer: Die Figur des verträumten Künstlers oder Philosophen, der in Gedanken verloren ist, ist ein klassisches Motiv der Romantik. Tagträumen wurde als Zeichen von Sensibilität, Tiefgang und Kreativität idealisiert.
Der moralische Verfall: In anderen Epochen, besonders im Zuge der Industrialisierung und ihrer Betonung von Disziplin und Produktivität, wurde Tagträumen als Müßiggang, Faulheit oder Charakterschwäche abgetan.
Die kognitive Leistung: Erst die moderne Psychologie begann, die adaptiven Funktionen des Tagträumens zu erforschen – von der Problemlösung über die kreative Inspiration bis zur mentalen Simulation sozialer Szenarien.
Das Paradoxon: Diese kulturelle Tradition macht es schwer, Maladaptives Tagträumen als ernst zu nehmendes Problem zu erkennen. Was jahrhundertelang als Quelle der Genialität galt, kann heute pathologisch sein? Betroffene kämpfen nicht nur mit ihren Symptomen, sondern auch mit diesem kulturellen Erbe, das ihr Leiden unsichtbar macht oder verklärt.
2. Die Rolle der Medien: Vom Katalysator zum Spiegelbild
Moderne Medienformen können Maladaptives Tagträumen sowohl befeuern als auch kritisch thematisieren.
Trigger und Werkzeug: Serien, Filme, Bücher und vor allem Musik sind häufige Auslöser für Tagträume. Sie liefern Charaktere, Settings und emotionale Soundtracks, die in die inneren Narrativen integriert werden. Gleichzeitig können sie bewusst als „Soundtrack“ für die Tagträume genutzt werden.
Repräsentation und Aufklärung: Inzwischen findet das Thema langsam Eingang in die Popkultur. Serien wie „You“ oder „Crazy Ex-Girlfriend“ zeigen Figuren mit ausgeprägten, teils problematischen Fantasiewelten. Diese Darstellungen, wenn auch nicht immer klinisch akkurat, schaffen erstmals eine Referenz und können Betroffenen das Gefühl geben, „gesehen“ zu werden.
Soziale Medien: Plattformen wie TikTok und Reddit haben eine zwiespältige Wirkung. Einerseits können algorithmisch generierte „Daydreaming“-Feeds das Verhalten verstärken. Andererseits sind sie die Geburtsstätte der globalen Community.
3. Die Entstehung einer globalen Community: Vom Stigma zur Solidarität
Die größte Veränderung im Diskurs um Maladaptives Tagträumen ist die Entstehung einer organischen, digitalen Selbsthilfebewegung.
Von der Isolation zur Vernetzung: Jahrelang dachten Betroffene, sie seien allein mit ihrem „verrückten“ Geheimnis. Das Internet hat dies radikal verändert. Auf Plattformen wie Reddit (r/MaladaptiveDreaming), Discord oder speziellen Foren tauschen sich Zehntausende aus.
Geteiltes Vokabular: Die Community hat eine eigene Terminologie entwickelt („Para“, „Lore“, „Trigger“, „Mindscape“), die es erlaubt, die Erfahrung präzise zu beschreiben und zu teilen. Dies ist ein entscheidender Schritt zur Entstigmatisierung.
Collective Advocacy: Die Community treibt die wissenschaftliche Anerkennung voran. Betroffene initiieren Studien, kontaktieren Forschende und verbreiten Aufklärung. Sie sind keine passiven Leidenden mehr, sondern aktive Mitgestalter im Diskurs über ihre eigene Situation.
Kulturelle Übersetzung: Die Community fungiert als Dolmetscher zwischen der individuellen Erfahrung und der akademischen/medizinischen Welt. Sie macht das abstrakte Phänomen für Außenstehende greifbarer.
4. Kreativität als Fluch und Segen: Das kulturelle Erbe neu denken
Die Community steht vor der Aufgabe, das kulturelle Narrativ des „kreativen Träumers“ für sich neu zu definieren.
Die Ambivalenz: Viele Betroffene sind tatsächlich überdurchschnittlich kreativ, fantasievoll und empathisch. Diese Gaben sind gleichzeitig der Kern ihres Leidens.
Vom maladaptiven zum adaptiven Tagträumen: Das Ziel ist nicht, die Imagination zu zerstören, sondern sie zu kanalisieren. Künstlerische Betätigung (Schreiben, Zeichnen, Komponieren) wird in der Community aktiv als Bewältigungsstrategie empfohlen, um die inneren Welten in externe, kontrollierbare Kreationen zu überführen.
Ein neues Narrativ: Es entsteht langsam eine neue Geschichte: die des resilienten Menschen, der seine überbordende Fantasie nicht als Fluch, sondern als potenzielle Ressource begreift, die es zu zähmen gilt. Dies ist ein empowernder Gegenentwurf zur reinen Pathologisierung.
FAQ
Warum ist Maladaptives Tagträumen in der Gesellschaft noch so unbekannt?
Weil es nach außen hin unsichtbar ist, keine offensichtlichen „Opfer“ hat (wie bei Suchterkrankungen) und sich im Spannungsfeld zwischen kulturell verklärter Kreativität und persönlichem Versagen bewegt. Es fällt durch das Raster unserer üblichen Problemwahrnehmung.
Können Medien wie Bücher oder Filme Maladaptives Tagträumen auslösen?
Nicht die Medien selbst, sondern die emotionale Resonanz, die sie auslösen. Ein Buch kann so fesselnd sein, dass man nicht mehr in der Realität leben möchte. Ein Song kann ein perfekter emotionaler Soundtrack für eine Fantasie sein. Medien sind oft der Katalysator, nicht die Ursache.
Ich habe meine Tagträume immer für eine besondere Gabe gehalten. Bin ich jetzt krank?
Nicht unbedingt. Die Grenze verläuft dort, wo es Ihnen Leidensdruck verursacht und Sie die Kontrolle über Ihr Leben verlieren. Viele kreative Menschen tagträumen viel, aber adaptiv. Der Unterschied liegt in der Funktion und den Folgen.
Wie kann ich der Community beitreten oder mehr erfahren?
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Wird Maladaptives Tagträumen irgendwann als offizielle Störung anerkannt werden?
Die Forschung dazu läuft. Die wachsende Community und die zunehmende Anzahl von Studien erhöhen den Druck auf die diagnostischen Manuals (wie das DSM). Der erste Schritt ist die Schaffung von Bewusstsein – und daran arbeitet die Community erfolgreich.
Maladaptives Tagträumen ist ein Kind seiner Zeit: Es ist eine uralte menschliche Fähigkeit, die in der modernen, reizüberfluteten Welt aus den Fugen geraten kann. Die entstehende globale Community ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Betroffene selbst die Narrative über ihr Leiden verändern und sich Gehör verschaffen.