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Shame: A journey through history, light and shadow

Scham – eine Einführung

Einleitung

Scham ist ein Gefühl, das so alt ist wie die Menschheit selbst und dessen Verständnis sich im Laufe der Zeit erheblich gewandelt hat. Von den antiken Gesellschaften, die Scham eng mit Ehre verknüpften, bis hin zur modernen Psychologie, die sie als selbstbezogene Emotion untersucht, bietet dieser Begriff einen faszinierenden Einblick in die menschliche Natur. In unserer Einführung erforschen wir die geschichtlicheen Wurzeln der Scham, beleuchten ihre positiven und negativen Aspekte und betrachten, wie sie in Bezug auf Perfektionismus und hohe Selbsterwartungen zum Ausdruck kommt. Begleiten Sie uns auf dieser Reise durch die komplexe Welt der Scham.

Scham in der Geschichte

Emotionen haben sich darum im Laufe der Geschichte und in verschiedenen kulturellen Kontexten gewandelt. Sie sind nicht unveränderlich und auch nicht universell, sondern vielmehr durch spezifische Werte und Normen einer bestimmten Gesellschaft bedingt. Die Beeinflussung zwischen Kultur und Gefühlen ist wechselseitig: affektive Erfahrungen werden vom kulturellen Umfeld, in denen sie existieren, geformt und prägen dieses Umfeld ihrerseits.

Lassen Sie uns ein Beispiel nehmen. Damit Emotionen, über innere Zustände hinaus, verstanden und, außerhalb der Körpersprache, ausgetauscht werden können, müssen sie versprachlicht werden. Kulturen und Gesellschaften spielen aber eine wichtige Rolle bei der sprachlichen Gestaltung aller Zusammenhänge, auch der emotionalen Erfahrungen. Sie haben unterschiedliche emotionale Normen und Regeln geschaffen, die als “emotional regimes” (William Reddy) bezeichnet werden. Das sind zunächst “kommunikative Codes”, die innere Zustände abgrenzen. Diese Codes bestimmen die Bandbreite angemessener Gefühlsäußerungen in einem bestimmten Zusammenhang.

Machtdynamiken und gesellschaftliche Hierarchien wirken sich ebenfalls darauf aus, wie Emotionen ausgedrückt und erlebt werden, und gewähren dabei Randgruppen oft nur begrenzte emotionale Freiheiten.

Die Geschichte der Emotionen erforscht, wie sich diese Emotionsregimes im Laufe der Zeit verändern, und beleuchtet die Kräfte, die den Gefühlsausdruck beeinflussen und kontrollieren. Ihre Erkenntnisse widerlegen die Vorstellung von universellen menschlichen Emotionen, indem sie die verloren gegangenen oder übersehenen affektiven Erfahrungen erhellen. Besonders das, was an solchen Erfahrungen verloren gegangen ist, gewährt Einblicke in Kräfte, die die menschliche Geschichte geprägt haben.

Wie für alle Emotionen haben sich die Codes für Scham im besonderen Maß im Laufe der Geschichte und in verschiedenen Kulturen aufgrund des Einflusses von kulturellen Werten, gesellschaftlichen Normen, Machtdynamik und Umweltfaktoren verändert. Scham ist verbunden mit dem Selbstbild und gesellschaftlich vorgegebenen Normen und Werten. Sie ist zwar eine auf das Selbst bezogene Emotion, wurzelt aber in sozialem Wettbewerb und beeinflusst ihrerseits Selbstbewertung, Ehre und Stolz. Sie kann darum gar nicht unveränderlich oder universell sein. Ihre Auslegung und Bedeutung hat sich in den verschiedenen Gesellschaften und Zeiträumen dementsprechend verändert. Im Folgenden finden Sie einen kurzen Überblick darüber, wie sich das Konzept der Scham in Europa im Laufe der Zeit verändert hat:

Antike Zivilisationen

In antiken Kulturen, z. B. in Griechenland und Rom, wurde Scham in den Zusammenhang mit Ehre und Unehre gestellt. Sie war eng mit dem sozialen Status und dem öffentlichen Ansehen einer Person verbunden. Die Angst vor Schande war ein starker Motivator für die Einhaltung sozialer Normen und ethischer Standards.

Mittelalter

In dieser Zeit wurde die Scham, insbesondere in Europa, stark von religiösen Lehren beeinflusst. Das Christentum beispielsweise betonte Konzepte von Sünde und moralischer Schuld, wobei Scham mit dem Bewusstsein verbunden war, gesündigt zu haben oder den religiöse Normen verletzt zu haben. Öffentliche Akte der Buße und Scham, wie das Tragen von Sackleinen oder Geißelung, waren ebenso üblich wie Bestrafung durch öffentliche Beschämung, etwa am Pranger.

Renaissance und Aufklärung

Mit dem Aufkommen von Individualismus und Humanismus wurde die Scham zunehmend als persönliches Gefühl, statt als öffentliches Spektakel betrachtet. Der Schwerpunkt verlagerte sich auf innere moralische und ethische Standards – bestenfalls abgeleitet von äußeren, sozialen oder religiösen, Normen.

Neuzeit und Moderne

In der Neuzeit, ausgehend vom späten 15. Jahrhundert, entwickelte sich, ursprünglich im höfischen Umfeld, ein ausgeprägter Sinn für Schicklichkeit und Anstand. Schamgefühl war bei Eliten erneut eng mit sozialer Etikette und der Wahrung des öffentlichen Ansehens verbunden. Ein Verstoß gegen gesellschaftliche Normen, beispielsweise in Fragen der Sexualität und Moral, konnte zu großer Scham und sozialer Ächtung führen.

Die Entwicklung der Psychologie, insbesondere die Arbeiten von Freud und Jung, führten zu einem neuen Verständnis von Scham im Zusammenhang mit der persönlichen Entwicklung und unbewussten Wünschen. Scham wird nun als eine komplexere Emotion betrachtet, die mit der persönlichen Identität und der Selbstwahrnehmung zusammenhängt.

Anknüpfend an die Erkenntnisse der Psychoanalyse, wird in der heutigen Zeit Verständnis von Scham durch psychologische und soziologische Forschung weiter verfeinert. Sie wurde dabei deutlich von Schuld unterschieden, wobei Schuld ein Gefühl der Reue für etwas ist, das man getan hat, während Scham mehr damit zu tun hat, wie man sich selbst wahrnimmt. Das Konzept der “toxischen Scham”, bei der Scham tief verwurzelt ist und die psychische Gesundheit beeinträchtigt, ist ebenfalls bekannt geworden.

Das Aufkommen der sozialen Medien und des Internets hat dem Konzept der Scham neue Dimensionen verliehen, mit Phänomenen wie Online-Shaming oder “Cancel Culture”. Soziale Plattformen können Scham auf globaler Ebene verstärken und beeinflussen, wie Individuen die öffentliche Kontrolle wahrnehmen und darauf reagieren. Andererseits senken sie die Hemmschwelle zur digitalen Verbreitung von Informationen, die im realen Leben deutlich schambewehrt sind.

Konzepte der Scham

Im Laufe der Geschichte war das Konzept der Scham fließend und passte sich den vorherrschenden kulturellen, sozialen und intellektuellen Trends der jeweiligen Zeit an. Während das grundlegende Wesen der Scham als eine Emotion, die mit Selbstbewusstsein und gesellschaftlichen Normen verbunden ist, konstant bleibt, entwickeln sich ihre Erscheinungsformen und Auswirkungen weiter. Entlang ihrer Geschichte haben sich verschiedene Seiten unseres Schamgefühls erst entwickeln müssen.

Scham als selbstbezogene Emotion

Scham wird, wie auch Schuld, Peinlichkeit und Stolz, als selbstbezogene Emotion eingestuft. Bei diesen Emotionen geht es um Bewertung und Wahrnehmung der eigenen Person. Scham steht im Zusammenhang mit einem schmerzhaften Gefühl der Demütigung oder Verlegenheit, das durch das Bewusstsein eines falschen oder törichten Verhaltens verursacht wird.

Unterscheidung zwischen Scham und Schuld

Obwohl Scham und Schuld oft synonym verwendet werden, gibt es klare Unterscheidungen zwischen den beiden Begriffen. Schuldgefühle sind mit Fürsorge und der Vermeidung von Schaden für andere verbunden, während Scham mit sozialem Wettbewerb, sozialem Ansehen und sozialer Akzeptanz zusammenhängt.

Scham als Gesichts- oder Ehrverlust

Scham wird oft mit “Gesichtsverlust” oder Verlust der Ehre gleichgesetzt. Die Reaktion auf Scham besteht darin, den Blick oder den Kopf zu senken und damit das Gesicht weniger dem Blick eines anderen zu entziehen. Scham ist in der Geschichte auch mit dem Konzept des “Ehrverlustes” für sich selbst oder seine Familie verbunden.

Äußere und innere Komponenten der Scham

Scham hat nachweislich zwei Komponenten – extrinsische und intrinsische Scham. Die äußere Scham bezieht sich auf die Wahrnehmung anderer, während die innere Scham die Selbstwahrnehmung, Selbsteinschätzung und Selbstkritik umfasst. Beide können miteinander verschmelzen und zu einer Erfahrung führen, bei der sich die Außenwelt gegen die Person wendet, während gleichzeitig die Selbsteinschätzung feindselig wird.

Scham im Verhältnis zu Stolz

Scham und Stolz werden als Gegenspieler oder Antagonisten in der negativen und positiven Selbstbewertung betrachtet. Während Scham mit negativer Selbsteinschätzung verbunden ist, ist Stolz eine positive Emotion der Selbsteinschätzung. Sowohl Scham als auch Stolz können mit Basis-Emotionen in Verbindung gebracht werden, wobei Stolz auf Wut und Freude und Scham auf Angst und Traurigkeit beruht.

Berühmte Beispiele

Vincent van Gogh

Der berühmte Maler kämpfte während seines Lebens mit psychischen Problemen und dem Gefühl des Versagens. Trotz seines immensen Talents verkaufte van Gogh nur sehr wenige Gemälde und war finanziell von seinem Bruder abhängig. Seine Briefe zeigen einen Mann, der mit Selbstzweifeln und einem tiefen Gefühl der Unzulänglichkeit kämpfte, das als toxische Scham interpretiert werden muss.

Virginia Woolf

Die gefeierte Schriftstellerin, die für ihre Romane und Essays bekannt ist, kämpfte ihr ganzes Leben lang mit psychischen Belastungen. Aus Woolfs Tagebüchern und Briefen geht hervor, dass sie sich zutiefst unzulänglich fühlte und oft Phasen intensiven Selbsthasses erlebte.

Frida Kahlo

Die berühmte mexikanische Künstlerin, die für ihre lebhaften Selbstporträts und ihre von der Natur und den Artefakten Mexikos inspirierten Werke bekannt ist, litt nach einem Busunfall unter chronischen Schmerzen und gesundheitlichen Problemen. Ihre Kunst und ihre Tagebücher offenbaren, wie sie mit körperlichen und seelischen Schmerzen zu kämpfen hatte, einschließlich eines tiefen Gefühls der Isolation und Unzulänglichkeit.

Ludwig van Beethoven

Der berühmte Komponist, der in seinen späteren Jahren taub wurde, kämpfte mit Gefühlen der Verzweiflung und Frustration aufgrund seines Hörverlusts. Aus seinen Briefen – unter anderem dem sogenannten “Heiligenstädter Testament” – und zeitgenössischen Berichten geht hervor, dass er Zeiten tiefer Scham und Isolation wegen seiner Behinderung erlebte.

Sylvia Plath

Die Dichterin und Schriftstellerin, berühmt für ihren bekenntnishaften Schreibstil, beschrieb in ihren Werken ihre Kämpfe mit Depressionen und Selbstzweifeln. Ihre Tagebücher und ihr einziger, halb autobiografischer, Roman “The Bell Jar” (Die Glasglocke) veranschaulichen ein tiefes Ringen um Selbstwert und Identität.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass persönliche Kämpfe und Erfolge, einschließlich des Kampfes mit Gefühlen tiefer Scham und Unzulänglichkeit, keinesfalls neu sind. Im Licht eingangs erwähnter geschichtlicher und kultureller Bedingtheit muss aber auch hervorgehoben werden, dass die Interpretation der Erfahrungen dieser historischen Persönlichkeiten durch die Linse moderner psychologischer Konzepte wie “toxische Scham” eben nur bedingt angemessen ist. Niemand unter den genannten hat bei sich selbst “toxische Scham” empfunden oder geäußert. Trotzdem kann diese Einordnung aber einen nützlichen Rahmen für das Verständnis ihrer toxischen Scham bieten.

Aus ihrer Geschichte wird auch deutlich, dass alle Emotionen, einschließlich der Scham, sowohl gesunde als auch ungesunde Seiten haben, und  das Erreichen eines optimalen Wohlbefindens davon abhängt, wie wir mit den Ausprägungen jeder Emotion umgehen.

Diese Sichtweise erkennt an, dass Scham zwar oft als ein schädliches Gefühl angesehen wird, aber auch positive oder konstruktive Aspekte haben kann.

Die helle Seite Scham

Die positive Seite der Scham ergibt sich aus ihrem Transformations- und Wachstumspotenzial, das sich aus dem Erleben und dem Umgang mit Scham in den jeweiligen kulturellen Kontexten ergibt. Sie bietet die Chance für persönliche Entwicklung und Heilung.

Persönliches Wachstum

Scham kann ein starker Motivator für die Selbstverbesserung sein. Wenn Menschen sich für bestimmte Verhaltensweisen oder Aspekte ihrer Persönlichkeit schämen, kann sie das dazu anregen, sich zu verändern und zu wachsen. Dieser Aspekt der Scham ist für die persönliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung, da er den Einzelnen dazu bringen kann, über sein Handeln nachzudenken und darauf hinzuarbeiten, eine bessere Version seiner selbst zu werden.

Sozialer Zusammenhalt

Scham spielt eine Rolle bei der Aufrechterhaltung sozialer Ordnung und Normen. Sie hält Menschen von Verhaltensweisen ab, die schädlich sind oder von der Gesellschaft missbilligt werden. Auf diese Weise kann Scham das Verantwortungsbewusstsein fördern und zur Einhaltung sozialer und ethischer Normen ermutigen, was zum allgemeinen Wohlbefinden einer Gemeinschaft beiträgt.

Empathie und Verständnis

Scham kann uns an unsere eigene Fehlbarkeit als menschliche Wesen erinnern. Die Erkenntnis, dass wir nicht perfekt sind und wir Fehler machen, ist für das persönliche Wachstum entscheidend. Diese Anerkennung kann ein bescheideneres und realistischeres Selbstbild fördern.

Scham kann darum Barrieren des Egos und des Stolzes niederreißen und den Einzelnen mitfühlender und verständnisvoller machen. Das Erleben von Scham kann zu mehr Empathie und Verständnis für andere führen, die ähnliche Situationen durchleben.

Manchmal eröffnet erst die Erfahrung von Scham die Möglichkeit zu ehrlichen Gesprächen über Fehler, Schwächen oder Versagen und führt so zu tieferen Verbindungen mit anderen, wenn die Anerkennung von Schwächen Beziehungen stärkt und gegenseitiges Verständnis und Unterstützung fördert.

Scham kann die moralische Sensibilität erhöhen, sodass sich der Einzelne der Folgen eigenen und fremden Handelns stärker bewusstwird.

Erfolgreiche Überwindung der Scham stärkt die Widerstandsfähigkeit und den Charakter. Wer lernt, mit Schamgefühlen umzugehen und sie zu überwinden, entwickelt gleichzeitig Fähigkeit, mit Widrigkeiten und Herausforderungen im Leben umzugehen.

Die dunkle Seite der Scham

Andererseits tritt die dunkle Seite der Scham in der chronischen Scham zutage, einer verborgenen und toxischen Emotion, die Menschen dazu bringt, sich zu hassen und zu verstecken. Chronische Scham geht einher mit Gefühlen der Abscheu führen und ist für den Einzelnen sehr schmerzhaft. Da solche Scham eine Folge unerfüllter Erwartungen ist, verursacht sie außerdem Gefühle von Unzulänglichkeit, Unwürdigkeit, Hilflosigkeit und ihre Schattenseiten beeinträchtigen das geistige, emotionale und soziale Wohlbefinden der Betroffenen stark.

Psychische Probleme

Toxische Scham führt zu einem tiefen Gefühl der Unwürdigkeit und zu einem dauerhaft niedrigen Selbstwertgefühl. Die Betroffenen sehen sich selbst ständig in einem negativen Licht.

Soziale Folgen

Menschen, die unter starken Schamgefühlen leiden, ziehen sich aus sozialen Kontakten zurück, um Verurteilung oder weiterer Beschämung zu entgehen. Einsamkeit und die Beschädigung von Unterstützungsnetzwerk sind die Folgen.

Ganz besonders schädigt toxische Scham gesunde Nähe, Intimität und Vertrauen, da die Betroffenen Angst haben, sich zu öffnen oder verletzlich zu sein. Konsequenzen sind konfliktreiche, oder sogar toxische Beziehungen und Schwierigkeiten beim Eingehen neuer Bindungen.

Selbstschädigende Verhaltensweisen

Scham kann sich selbst aufrechterhalten. Schamgefühle können zu Verhaltensweisen führen, die noch mehr Scham hervorrufen, wodurch ein schwer zu durchbrechender Kreislauf entsteht. Dies gilt insbesondere für toxische Schamgefühle, die sich tief in die Identität einer Person eingraben.

Um mit unerträglichen Schamgefühlen fertig zu werden, greifen manche Menschen zu selbstzerstörerischen Verhaltensweisen wie Drogenmissbrauch, Selbstverletzung oder anderen riskanten Aktivitäten. Diese Verhaltensweisen überdecken den Schmerz der Scham aber immer nur vorübergehend und verursachen weitere Probleme, die wiederum noch tiefere Scham auslösen.

In Verbindung mit emotionaler Dysregulation kann Scham sich auch als Wut oder Aggression äußern, die sich entweder nach innen oder gegen andere richtet. Auch hier kann ein Kreislauf aus negativen Selbstsicht, schädlichen Verhaltensweisen und vertiefter negativer Selbstbewertung in Gang gesetzt werden, der sowohl für den Betroffenen als auch für sein Umfeld rasch unerträglich wird.

Chronische Scham hemmt das oben genannte persönliche Wachstum und die Entwicklung. Sie hält Menschen davon ab, Risiken einzugehen, neue Dinge auszuprobieren oder weitreichende und anspruchsvolle Ziele zu verfolgen, weil sie das Gefühl haben, Erfolg nicht zu verdienen oder überhaupt unfähig zu sein, Erfolg zu erringen.

Wer von Schamgefühlen überwältigt ist, kann kaum gute Entscheidungen fällen. Es kann sogar sein, dass Schamgefühl zu Entscheidungen führt, die nichts weiter erreichen sollen, als Scham zu vermeiden, anstatt das zu tun, was am besten wäre. Dann stellen siech verpasste Chancen und Reue ein.

Scham und Perfektionismus

Obwohl Perfektionismus auch positive Seiten hat, etwa hohe Leistungsstandards, Detailorientierung und starke Motivation und Anstrengungsbereitschaft, verursacht er, in Verbindung mit toxischer Scham durch Stress und Angst, unrealistische Standards und ein Gefühl des Nie-Zufrieden-Seins. Überzogene Erwartungen färben auch auf Beziehungen ab, wenn Perfektionisten dieselben Standards an andere anlegen oder wenig Zeit für persönliche Beziehungen haben.

Das Selbstwertgefühl, das stark von Leistung und Erfolg abhängig ist, macht das Selbstbild unsicher und brüchig.

Anhaltende Schamgefühle stehen in engem Zusammenhang mit psychischen Störungen wie Störungen der Sexualität, Depressionen, Angstzuständen, Essstörungen und anderen Süchten. Die Verinnerlichung von Schamgefühlen verschlimmert diese Erkrankungen und erschwert die Genesung.

Es wird niemanden verblüffen, dass chronischer Stress, der mit intensiver Scham einhergeht, mit einem erhöhten Risiko für Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Magengeschwüre und einer geschwächten Immunfunktion einhergeht.

Die helle Seite der Scham liegt also in ihrem Potenzial für persönliches Wachstum, Widerstandsfähigkeit und Entfaltung, während die dunkle Seite der Scham durch ihren toxischen Charakter gekennzeichnet ist, der zu Gefühlen von Unvollkommenheit, Unwürdigkeit, Isolation und Abgeschiedenheit führt.

Wie kann toxische Scham von gesunder Scham unterschieden werden?

Toxische Scham hat negative Folgen haben und führt zu verschiedenen psychologischen Problemen führen, gesunde Scham erkennt an, dass Scham eine positive Funktion haben kann, wenn sie richtig verstanden und erlebt wird. Toxische Scham lässt sich anhand mehrerer Faktoren von gesunder Scham unterscheiden.

Emotionales Erleben

Toxische Scham wird oft von intensiven und überwältigenden Gefühlen begleitet, wie dem Gefühl, unwürdig zu sein, sich zu ekeln oder sich selbst zu hassen.

Gesunde Scham hingegen beinhaltet ein Gefühl des Bedauerns und der Traurigkeit über die eigenen Handlungen, die anderen Schaden zugefügt haben.

Motivation

Toxische Scham wird durch einen Wettbewerbsdrang angetrieben, bei dem der Einzelne das Bedürfnis hat, sich mit anderen zu vergleichen.

Gesunde Scham hingegen ist durch Fürsorge und den Wunsch motiviert, den angerichteten Schaden wiedergutzumachen.

Selbstwahrnehmung

Menschen, die toxische Scham empfinden, sehen sich oft als von Natur aus schlecht, unwürdig oder ekelhaft an.

Gesunde Scham hingegen erkennt ein Verhalten als schädlich an, beschädigt aber nicht das Selbstwertgefühl.

Psychische Erkrankungen

Toxische Scham wird mit schädlichen psychologischen Auswirkungen wie Depressionen, sozialen Ängsten, Perfektionismus und Streben nach Perfektion in Verbindung gebracht.

Das ist bei gesunder Scham nicht der Fall.

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Die Geschichte der Scham zeigt, dass dieses Gefühl in verschiedenen Kulturen und Epochen unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wurde. Von den antiken Zivilisationen, die Scham eng mit Ehre und sozialem Status verknüpften, über das Mittelalter, in dem religiöse Konzepte die Interpretation von Scham prägten, bis hin zur modernen Zeit, in der psychologische und soziologische Forschung die Komplexität der Scham aufdeckt, hat sich das Verständnis dieses Gefühls stetig entwickelt.

Einerseits kann Scham positive Effekte haben, wie die Motivation zur persönlichen Verbesserung, die Aufrechterhaltung sozialer Normen und das Erzeugen von Empathie. Diese “helle Seite” der Scham hilft dabei, moralische und ethische Standards zu bewahren und kann zur Entwicklung eines tieferen Verständnisses für menschliche Schwächen beitragen.

Andererseits bringt die “dunkle Seite” der Scham erhebliche negative Auswirkungen mit sich. Dazu gehören niedriges Selbstwertgefühl, psychische Gesundheitsprobleme, soziale Isolation, Beziehungsprobleme, selbstzerstörerisches Verhalten und Aggressionen. Diese negativen Aspekte können die persönliche Entwicklung hemmen und zu tiefgreifenden emotionalen und sozialen Problemen führen.

In der modernen Betrachtung wird Scham oft im Kontext von Perfektionismus und überzogener Leistungsbereitschaft diskutiert. Während diese Eigenschaften zu hohen Leistungsstandards und außergewöhnlichen Erfolgen führen können, bergen sie auch Risiken wie Stress, Angstzustände und ein dauerhaftes Gefühl der Unzufriedenheit. Ein gesundes Gleichgewicht zu finden, bei dem realistische Erwartungen und Selbstmitgefühl im Vordergrund stehen, ist daher entscheidend.

Scham ist ein komplexes und vielschichtiges Gefühl, das sowohl positive als auch negative Auswirkungen hat. Dieses Verständnis ist wesentlich, um mit Scham gesund umgehen zu können und sowohl ihre konstruktiven als auch ihre destruktiven Potenziale zu erkennen und zu handhaben. Wie das genau geht, findet sich in weiteren Beiträgen in diesem WikiBlog.

Quellen:

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Miller, Susan. 2013. Shame in Context. Routledge.

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Stemper, Dirk. 2023. Toxische Schuld und Scham: Das Arbeitsbuch für Selbstwertgefühl. Berlin: Psychologie Halensee.

Wurmser, Leon. 2011. Die Maske der Scham: Die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten. Berlin – Heidelberg: Springer.

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